Es ist ein Killer, den man nicht sieht, nicht riecht, nicht hört – und der trotzdem Leben auslöschen kann. Candida auris, ein mikroskopisch kleiner Hefepilz, sorgt weltweit für Alarm. Er schleicht sich in Kliniken, überlebt auf Oberflächen, auf Haut und sogar auf medizinischen Geräten – oft wochenlang. Und er bringt eine tödliche Waffe mit: Resistenz gegen viele der Medikamente, die ihn eigentlich stoppen sollen. Ärzte schlagen Alarm, Gesundheitsbehörden warnen – und die Fallzahlen explodieren.
Ein globaler Erreger mit tödlichem Potenzial
Candida auris ist kein gewöhnlicher Pilz. Er tauchte erstmals 2009 in Japan auf und hat sich seitdem über alle Kontinente verbreitet. In den USA verzeichneten die Behörden 4.514 Infektionen allein im Jahr 2023 – der höchste Wert seit seiner Entdeckung. In Deutschland wurden im selben Jahr 77 Fälle dokumentiert – sechs Mal mehr als in den Jahren zuvor. In England stiegen die Zahlen so stark, dass der Pilz seit April 2025 offiziell meldepflichtig ist.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft ihn als „kritisch“ ein – die höchste Alarmstufe für Krankheitserreger. Die US-Gesundheitsbehörde CDC spricht sogar von einer „dringlichen Bedrohung“.
Warum Candida auris so gefährlich ist
Multiresistenz statt „normale“ Pilzinfektion
Candida auris verhält sich therapeutisch anders als viele bekannte Hefepilze. Bei anderen Candida-Arten genügt oft eine der drei großen Antipilz-Klassen (Azole, Echinocandine, Polyene). C. auris bringt jedoch häufig gleich mehrere Resistenzmechanismen mit: veränderte Zielstrukturen (z. B. an der Zellmembran oder -wand), aktive Effluxpumpen, die Wirkstoffe hinausbefördern, und eine ausgeprägte Fähigkeit, unter Medikamentendruck rasch weitere Resistenzen zu entwickeln. Für die Praxis heißt das: Standardtherapien greifen schlechter, Dosen müssen teils höher gewählt oder Wirkstoffe kombiniert werden – mit entsprechendem Risiko für Nebenwirkungen und Interaktionen.
Schwere Verläufe bei bereits gefährdeten Patientinnen und Patienten
Gesunde Menschen tragen ein geringes Risiko, ernsthaft zu erkranken. Gefährlich wird C. auris dort, wo Abwehrkräfte geschwächt sind: auf Intensivstationen, bei großen Operationen, Krebserkrankungen, Diabetes mit Folgeproblemen oder langem Antibiotika-/Antimykotika-Einsatz. Gelangt der Pilz in den Blutkreislauf (Candidämie) oder innere Organe, sind die Verläufe oft schwer. Wichtig ist die nüchterne Einordnung: Die beobachtete hohe Sterblichkeit spiegelt nicht nur die Aggressivität des Erregers, sondern auch den sehr kritischen Ausgangszustand dieser Patientengruppen wider.
Zäher Überlebenskünstler in der Klinikumgebung
Viele Keime sterben auf trockenen Oberflächen rasch ab – C. auris nicht. Er hält sich auf Bettgittern, Monitoren, Infusionspumpen, Türklinken und Haut wochenlang. Hinzu kommt seine Fähigkeit, Biofilme zu bilden – schleimige Mikrogesellschaften, die ihn vor Reinigern und Medikamenten schützen. Klassische Flächendesinfektion reicht nicht immer; Kliniken müssen geprüfte, wirksame Mittel und Verfahren einsetzen (z. B. passende Wirkstoffklassen, korrekte Einwirkzeiten, ggf. ergänzende Raumdekontamination). Dieser Umweltvorteil erklärt, warum Ausbrüche selbst bei grundsätzlich guter Hygiene schwer einzufangen sein können.
Die „lautlose“ Kolonisation: verbreiten, bevor Symptome entstehen
C. auris kann Haut und Schleimhäute besiedeln, ohne sofort krank zu machen. Betroffene fühlen sich zunächst gesund – sind aber potenzielle Überträger. Kommen dann invasive Eingriffe, Katheter, Beatmung oder Immunsuppression hinzu, steigt das Risiko einer echten Infektion. Diese stille Kolonisationsphase macht konsequentes Screening, Isolierung und Kontakt-Tracing im Krankenhaus so entscheidend: Man will verhindern, dass ein unsichtbares Reservoir entsteht, aus dem heraus sich der Erreger in sensiblen Bereichen verteilt.
Diagnostische Tücken: verwechselbar, wenn man nicht genau hinschaut
Ältere oder unzureichend kalibrierte Laborsysteme können C. auris mit anderen Candida-Arten verwechseln. Sicher identifizieren lässt er sich mit modernen Methoden (z. B. MALDI-TOF mit aktualisierten Datenbanken oder molekularen Tests). Wo die Diagnostik nicht up to date ist, dauert es länger bis zur korrekten Einordnung – und Zeit ist ein kritischer Faktor: Jede Verzögerung erhöht das Risiko für Ausbreitung und für eine initial falsche Therapie.
Medizinische Geräte als „Huckepack“
Venenkatheter, Harnkatheter, Trachealkanülen, Dialyse- und Beatmungsgeräte: All das schafft – wenn nötig, aber unvermeidbar – Eintrittspforten. C. auris nutzt solche Zugänge, haftet an Kunststoffen, bildet Biofilme und entzieht sich so partiell der Abwehr und manchen Desinfektionsschritten. Konsequente Gerätepflege, zeitnaher Wechsel, strikte Aseptik und klar definierte Prozessketten sind daher keine Formalien, sondern zentrale Schutzbarrieren.
Begrenzte Therapieoptionen – und die Notwendigkeit individueller Strategien
Wegen der Multiresistenz sind die wirklich wirksamen Optionen weniger und oft teurer oder nebenwirkungsreicher. Therapien müssen individuell geplant werden: Welche Resistenzlage liegt vor? Welche Organe sind betroffen? Wie ist die Nieren-/Leberfunktion? Häufig braucht es engmaschige Spiegelkontrollen, Kombinationstherapien und eine strenge Priorisierung von Maßnahmen, die den „Druck“ auf den Erreger erhöhen (z. B. Entfernung infizierter Katheter). Diese Komplexität erfordert ein geübtes Zusammenspiel von Mikrobiologie, Infektiologie, Intensivmedizin und Pflege.
Ausbruchsdynamik: kleine Versäumnisse, große Effekte
In Krankenhäusern entscheidet die Summe vieler kleiner Handgriffe: Händehygiene vor und nach Patientenkontakt, korrekte Handschuh-/Kittel-Nutzung, akribische Flächendesinfektion, Screening nach definierten Schemata, schnelle Isolierung, klare Informationsketten bei Verlegungen. C. auris zeigt, wie eng Sicherheit und Routine verknüpft sind – und wie schon kleine Lücken zu Kettenübertragungen führen können. Wo Häuser standardisierte Ausbruchspläne üben, verläuft die Eindämmung deutlich erfolgreicher.
Was diese Gefährlichkeit nicht bedeutet
Wichtig ist die Entdramatisierung für den Alltag außerhalb der Klinik: Für gesunde Menschen besteht im normalen Leben kein erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken. Die bedrohliche Dimension spielt sich primär in Hochrisikoumgebungen ab. Genau deshalb zielen Maßnahmen auf diese Settings: Schutz der Verwundbarsten, Unterbrechung von Übertragungspfaden, hohe diagnostische Aufmerksamkeit und strikte Hygiene.
Was Angehörige wissen sollten
Wenn ein Familienmitglied betroffen ist, zählen einfache, konsequent angewandte Regeln: gründliche Händehygiene vor und nach Besuchen, Befolgen der Stationsanweisungen (Schutzkittel, Handschuhe, ggf. Besuchsbeschränkungen), kein Berühren von Verbänden, Kathetern oder Geräten. Das ist nicht „übervorsichtig“, sondern aktiver Beitrag, um die betroffene Person und Mitpatienten zu schützen.
Die aktuelle Lage in Zahlen
- USA: 4.514 klinische Fälle im Jahr 2023
- Deutschland: 77 Fälle im Jahr 2023 (vorher rund 12 jährlich)
- England: 134 neue Fälle zwischen November 2024 und April 2025
- Global: In über 50 Ländern nachgewiesen
Wie man sich schützen kann
Für gesunde Menschen ist Candida auris in der Regel ungefährlich – doch in Kliniken kann er lebensbedrohlich werden. Deshalb setzen Krankenhäuser auf:
- Strenge Isolationsmaßnahmen bei infizierten Patienten
- Spezielle Desinfektionsmittel, die den Pilz zuverlässig abtöten
- Konsequente Meldepflicht bei Infektionsnachweis
Blick in die Zukunft
Die Forschung arbeitet mit Hochdruck an neuen Antipilzmitteln. In Großbritannien läuft derzeit ein Projekt mit 17,9 Millionen Pfund Förderung, um Wirkstoffe gegen multiresistente Pilze wie Candida auris zu entwickeln. Doch Experten warnen: Prävention und schnelle Erkennung sind derzeit unsere schärfsten Waffen.
Fazit
Candida auris ist ein stiller Killer, der längst in Europa angekommen ist. Der Kampf gegen ihn wird nicht im Labor allein gewonnen – sondern auf den Stationen, in den Operationssälen und an den Betten der Patienten. Wachsamkeit, konsequente Hygiene und internationale Zusammenarbeit sind entscheidend, um diesen unsichtbaren Feind aufzuhalten.