Navigations-Button: Hamburger-Menü
Symbol für die Suche

Wenn bei einem Kind oder Erwachsenen die Diagnose „Thymidinkinase-2-Defizienz“ (TK2D) gestellt wird, bricht für viele Familien eine Welt zusammen. Hinter dem komplizierten Namen verbirgt sich eine sehr seltene, aber schwerwiegende Erkrankung, die Muskeln schwächt, das Atmen erschwert und den Alltag grundlegend verändern kann. Die Erkrankung gehört zur Gruppe der sogenannten mitochondrialen Myopathien – das sind Erkrankungen, bei denen die Energiekraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, nicht mehr richtig funktionieren. TK2D ist dabei eine besonders aggressive Form, weil sie direkt die genetischen Baupläne in den Mitochondrien angreift.

Was passiert im Körper bei TK2D?

Die Ursache der TK2-Defizienz liegt in einer Veränderung des TK2-Gens. Dieses Gen enthält die Information für ein Enzym namens Thymidinkinase 2. Dieses Enzym ist notwendig, damit die Mitochondrien ihre eigene DNA produzieren und reparieren können. Mitochondrien haben eine eigene, kleine Erbinformation – getrennt von der des Zellkerns – und brauchen diese, um ihre Energiearbeit zu verrichten. Wenn das Enzym fehlt oder nicht richtig funktioniert, bricht die Energieversorgung der Zellen zusammen. Besonders betroffen sind Gewebe, die viel Energie brauchen – wie die Muskeln, insbesondere die Atemmuskulatur.

Wie häufig ist TK2D?

TK2D ist extrem selten. Schätzungen gehen davon aus, dass weniger als ein Mensch pro eine Million betroffen ist. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter beginnen – im Säuglingsalter, in der Kindheit oder auch erst im Erwachsenenalter. Je früher die Symptome auftreten, desto schwerer ist meist der Verlauf.

Wie zeigt sich TK2D?

Die Symptome richten sich stark nach dem Alter, in dem die Erkrankung beginnt. Säuglinge mit TK2D zeigen oft schon sehr früh eine schlaffe Muskulatur, haben Schwierigkeiten beim Schlucken, verlieren rasch an Muskelkraft und entwickeln Atemprobleme. Viele Kinder erreichen wichtige motorische Entwicklungsziele nicht oder verlieren Fähigkeiten, die sie bereits erworben hatten. Oft verläuft die Erkrankung bei sehr früher Diagnose besonders rasch und schwer.

Bei Kindern, die erst im Vorschul- oder Schulalter Symptome zeigen, ist der Verlauf meist langsamer. Dennoch kommt es auch hier im Laufe der Zeit zu einer fortschreitenden Muskelschwäche. Viele Betroffene benötigen spätestens im Jugendalter einen Rollstuhl. Häufig ist auch die Atemmuskulatur betroffen, was zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann.

Die erwachsene Form verläuft am langsamsten. Betroffene können oft viele Jahre ohne größere Einschränkungen leben, benötigen aber im Laufe der Zeit Hilfsmittel zum Gehen und Unterstützung beim Atmen, besonders nachts. Auch hier ist die Lebenserwartung verkürzt, vor allem wenn Atemprobleme nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden.

Wie wird die Erkrankung festgestellt?

Die Diagnose einer Thymidinkinase-2-Defizienz (TK2D) ist oft ein längerer Weg, der mit ersten unspezifischen Symptomen beginnt und schließlich durch gezielte Spezialuntersuchungen abgesichert wird. Besonders bei Kindern fällt Eltern oder Ärztinnen und Ärzten zunächst eine ausgeprägte Muskelschwäche auf – zum Beispiel, wenn ein Kind sich langsamer entwickelt, Schwierigkeiten beim Sitzen, Gehen oder Halten des Kopfes hat. Manche Kinder wirken ungewöhnlich ruhig oder schlapp, andere verlieren bereits erlernte Bewegungsfähigkeiten wieder. Diese ersten Anzeichen sind jedoch nicht eindeutig und können viele Ursachen haben. Deshalb ist es wichtig, bei anhaltenden oder sich verschlechternden Symptomen eine genauere Abklärung einzuleiten.

Zunächst erfolgen in der Regel eine umfassende Anamnese und eine körperliche Untersuchung. Dabei wird gezielt nach familiären Auffälligkeiten gefragt, nach der Entwicklungsgeschichte des Kindes oder nach Symptomen wie Schluckbeschwerden oder Atemproblemen. In der körperlichen Untersuchung zeigen sich häufig Anzeichen einer generalisierten Muskelschwäche, besonders der rumpfnahen (proximalen) Muskulatur, eine verminderte Muskelspannung (Hypotonie) oder andere motorische Auffälligkeiten.

Als nächster Schritt folgt meist eine Laboruntersuchung. Hierbei wird unter anderem der Kreatinkinase-Wert (CK) im Blut bestimmt – ein Enzym, das bei Muskelschäden verstärkt freigesetzt wird. Ein erhöhter CK-Wert kann auf eine Muskelerkrankung hinweisen, muss es aber nicht. Manche Betroffene mit TK2D haben normale CK-Werte, sodass ein unauffälliger Laborbefund die Erkrankung nicht ausschließt.

Entscheidend für die Diagnose ist die genetische Analyse. Dabei wird gezielt nach Veränderungen (Mutationen) im TK2-Gen gesucht. Diese Analyse kann aus einer einfachen Blutprobe gewonnen werden und gibt letztlich den eindeutigen Hinweis, ob eine TK2-Defizienz vorliegt. Da es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung handelt, bedeutet dies meist, dass beide Elternteile Träger der veränderten Genvariante sind, ohne selbst erkrankt zu sein.

Um den Schweregrad und die Art der Muskelschädigung besser einordnen zu können, werden häufig noch weitere diagnostische Verfahren eingesetzt. Eine Elektromyographie (EMG) misst die elektrische Aktivität der Muskulatur. Dabei lassen sich typische Muster erkennen, die auf eine myopathische – also muskelbedingte – Ursache der Schwäche hinweisen. In manchen Fällen wird zusätzlich eine Muskelbiopsie durchgeführt, bei der eine kleine Gewebeprobe aus einem Muskel entnommen und mikroskopisch untersucht wird. Dabei kann man unter anderem sehen, ob die Mitochondrien in den Muskelzellen verändert oder in ihrer Zahl reduziert sind – ein Hinweis auf eine mitochondriale Erkrankung wie TK2D.

Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser können Betroffene und ihre Familien sich auf die Erkrankung einstellen und mögliche therapeutische Maßnahmen in Anspruch nehmen. Deshalb ist es besonders wichtig, bei unklaren muskulären oder neurologischen Symptomen frühzeitig an seltene Ursachen wie TK2D zu denken – auch wenn sie sehr selten sind. Die richtige Diagnose ist der erste Schritt, um den richtigen Weg zu finden.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Auch wenn die Thymidinkinase-2-Defizienz (TK2D) derzeit nicht heilbar ist, bedeutet das nicht, dass man den Betroffenen nicht helfen kann. Die Behandlung zielt darauf ab, die Beschwerden zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten. Dabei steht nicht eine einzelne Therapie im Mittelpunkt, sondern ein ganzheitlicher, interdisziplinärer Ansatz – das heißt: Viele verschiedene Fachrichtungen arbeiten Hand in Hand, um die körperlichen, seelischen und sozialen Herausforderungen der Erkrankung bestmöglich zu begleiten.

Im Zentrum steht häufig die Unterstützung der Atmung. Da die Atemmuskulatur bei TK2D schrittweise an Kraft verliert, kann es zu Atemnot, nächtlichem Sauerstoffmangel oder wiederkehrenden Lungenentzündungen kommen. Deshalb ist es besonders wichtig, die Lungenfunktion regelmäßig zu kontrollieren – auch wenn äußerlich noch keine Atemprobleme sichtbar sind. Sobald erste Anzeichen einer respiratorischen Insuffizienz auftreten, kann eine nicht-invasive Beatmung über eine Gesichts- oder Nasenmaske helfen, die Atemmuskulatur zu entlasten und die Sauerstoffversorgung zu sichern. Diese Form der Unterstützung kann nachts erfolgen, während der Schlafenszeit, oder – in späteren Stadien – auch tagsüber. Viele Betroffene erleben dadurch eine spürbare Besserung der Leistungsfähigkeit, des Schlafs und der allgemeinen Lebensqualität.

Ein zweiter wichtiger Baustein ist die gezielte Bewegungstherapie. Physiotherapeutische Maßnahmen helfen dabei, die verbliebene Muskelkraft zu erhalten, Verkrampfungen zu verhindern und Fehlstellungen vorzubeugen. Auch wenn keine vollständige Mobilität mehr erreicht werden kann, ist es entscheidend, Beweglichkeit und Selbstständigkeit so lange wie möglich zu fördern. Ergotherapie unterstützt darüber hinaus beim Erlernen alltagspraktischer Fähigkeiten – zum Beispiel beim Anziehen, Essen oder Schreiben – und kann gezielt Hilfsmittel empfehlen, die den Alltag erleichtern.

Bei vielen Kindern und Erwachsenen mit TK2D treten früher oder später Schluckbeschwerden auf. Wenn es zu häufigem Verschlucken oder zur Gefahr einer Mangelernährung kommt, kann eine Ernährung über eine Magensonde notwendig werden – entweder vorübergehend oder dauerhaft. Dies geschieht in der Regel über eine sogenannte PEG-Sonde, die direkt in den Magen gelegt wird. So kann eine ausreichende Nährstoffzufuhr sichergestellt werden, ohne den Körper zusätzlich zu belasten. Eine Ernährungsberatung kann zudem dabei helfen, die richtige Zusammensetzung und Menge der Nahrung individuell anzupassen.

Ein oft unterschätzter, aber essenzieller Bestandteil der Therapie ist die psychosoziale Begleitung. Eine Diagnose wie TK2D stellt nicht nur die betroffene Person, sondern auch das gesamte familiäre Umfeld vor enorme emotionale Herausforderungen. Die Unsicherheit über den Verlauf, die Angst vor Kontrollverlust und der hohe organisatorische Aufwand im Alltag können überfordern. Psychologische Begleitung, Austausch mit Selbsthilfegruppen und sozialpädagogische Unterstützung helfen dabei, mit der Situation umzugehen, Belastungen besser zu bewältigen und neue Perspektiven zu entwickeln. Dabei ist es wichtig, auch Geschwisterkinder nicht zu übersehen, denn sie erleben die Veränderungen innerhalb der Familie oft intensiv – aber still.

Zusätzlich zur medizinischen Versorgung spielen auch logopädische Therapien eine wichtige Rolle – insbesondere dann, wenn das Sprechen oder Schlucken beeinträchtigt ist. Die gezielte Förderung durch Logopädinnen und Logopäden kann helfen, Kommunikationsfähigkeiten zu erhalten und die Gefahr des Verschluckens zu reduzieren.

Die Behandlung von TK2D gleicht somit einem Mosaik aus vielen kleinen, aber wichtigen Bausteinen. Ziel ist nicht die vollständige Wiederherstellung, sondern ein Leben mit möglichst viel Würde, Selbstbestimmung und Teilhabe – angepasst an die individuellen Möglichkeiten und den Verlauf der Erkrankung. Jeder Mensch mit TK2D ist anders, und deshalb braucht es für jede Familie ein ganz eigenes Behandlungskonzept, das mitwächst, sich anpasst und Raum für Hoffnung lässt.

Wie entwickelt sich die Erkrankung – und wie lange leben Betroffene?

Die Thymidinkinase-2-Defizienz verläuft in aller Regel chronisch und fortschreitend, das heißt: Die körperlichen Einschränkungen nehmen im Laufe der Zeit zu. Wie schnell und stark die Erkrankung voranschreitet, hängt maßgeblich vom Alter bei Krankheitsbeginn ab. Frühkindliche Verläufe zeigen sich meist besonders aggressiv – viele dieser Kinder verlieren bereits im ersten Lebensjahr die Fähigkeit zu sitzen oder zu greifen, können nicht mehr selbstständig atmen und versterben häufig innerhalb der ersten Lebensjahre trotz unterstützender Maßnahmen.

Bei Kindern, deren Symptome etwas später beginnen, schreitet die Erkrankung oft etwas langsamer voran. Dennoch ist auch hier mit einem zunehmenden Verlust motorischer Fähigkeiten zu rechnen. Viele dieser Kinder benötigen bereits im Grundschulalter einen Rollstuhl und sind spätestens im Jugendalter auf eine dauerhafte Atemunterstützung angewiesen. Die Lebenserwartung ist in solchen Fällen meist deutlich reduziert und wird häufig durch Atemversagen oder schwere Infektionen begrenzt. Viele dieser Kinder sterben im späten Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter, auch wenn unterstützende Maßnahmen die Lebensqualität und -dauer verbessern können.

Erwachsene mit einer spät beginnenden Form erleben eine meist deutlich langsamere Verschlechterung. Sie können über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg eine gewisse Mobilität erhalten – teils mit Gehhilfen oder Rollstuhl, teils mit Unterstützung im Alltag. Dennoch kommt es auch hier im Verlauf zu zunehmender Muskelschwäche, Schluckstörungen und Atemproblemen. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Auftreten der ersten Symptome liegt in diesen Fällen häufig zwischen 20 und 30 Jahren. Wichtig ist jedoch: Diese Zahlen sind Mittelwerte. Je nach individueller Situation, Betreuung und Begleiterkrankungen kann der Verlauf auch deutlich milder oder schwerer sein.

Welche Medikamente kommen zum Einsatz?

Eine spezifische medikamentöse Standardtherapie, die den Krankheitsverlauf nachweislich verlangsamt oder heilt, ist bislang nicht zugelassen. Die meisten Medikamente, die bei TK2D zum Einsatz kommen, dienen daher der Linderung einzelner Symptome oder der Vorbeugung von Komplikationen. Dazu zählen unter anderem:

  • Bronchienerweiternde Medikamente (z. B. Salbutamol): Diese können helfen, die Atemwege offen zu halten, vor allem bei betroffenen Kindern mit Neigung zu Atemwegsinfekten oder verengten Bronchien
  • Antibiotika: Sie werden bei bakteriellen Infekten der. Atemwege frühzeitig eingesetzt, um Komplikationen wie Lungenentzündungen zu verhindern.
  • Schmerzmittel oder Muskelrelaxanzien: In fortgeschrittenen Stadien kann es durch Fehlhaltungen oder Muskelverhärtungen zu Schmerzen kommen, die gezielt behandelt werden müssen.
  • Ergänzende Vitaminpräparate oder Nahrungsergänzungsmittel: Je nach Ernährungszustand und Begleitdiagnosen können Vitamine, Spurenelemente oder hochkalorische Trinknahrung sinnvoll sein.

Neuer Therapieansatz: Desoxynukleosid-Behandlung

Ein vielversprechender therapeutischer Ansatz, der sich aktuell in klinischer Prüfung befindet, ist die sogenannte Desoxynukleosid-Therapie. Dabei erhalten Betroffene eine Kombination aus zwei Vorstufen der DNA-Bausteine (Desoxythymidin und Desoxyzytidin) in Form einer oralen Lösung. Diese Substanzen sollen den Mangel an mitochondrialer DNA zumindest teilweise ausgleichen und so den Zellen wieder mehr Energie ermöglichen.

In Studien zeigten sich bei einigen Patientinnen und Patienten bemerkenswerte Effekte – etwa eine Stabilisierung der Atmung, eine Verbesserung der Beweglichkeit und in einigen Fällen auch eine Wiedererlangung verloren geglaubter Fähigkeiten. Allerdings ist diese Therapie noch nicht regulär zugelassen und wird aktuell nur im Rahmen spezieller Programme oder klinischer Studien verabreicht. Ob und wann eine offizielle Zulassung in der EU erfolgt, ist derzeit noch unklar.

Ein Ausblick

Auch wenn TK2D bislang nicht heilbar ist, gibt es Hoffnung. Die medizinische Versorgung wird besser, und neue Therapien befinden sich in Entwicklung. Wichtig ist eine frühe Diagnose, eine gute symptomatische Versorgung und vor allem: Menschlichkeit. Denn hinter jeder Diagnose steht ein Mensch mit seinem ganz eigenen Leben – und verdient Respekt, Unterstützung und Perspektiven.

Wir erklären Ihnen

 

Visite-Medizin: Sie haben Fragen? Wir antworten!

Aktuelle Studien auf Visite-Medizin

Heilpflanzen bei Krebs

 

 
×
 
Top