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Ein persönlicher Bericht über Schmerz, Zweifel und die zerstörerische Wirkung des Nicht-Gesehen-Werdens!

Silhouette einer Frau im Hoodie, die auf dem Boden sitzt und den Kopf in den Händen hält. Im farbigen Hintergrund steht der Text: Wenn Migräne nicht ernst genommen wird – Wie Zweifel einen tief verletzt.

Es gibt Krankheiten, die reißen dich körperlich nieder. Und es gibt Krankheiten, die nehmen dir zusätzlich dein Vertrauen in die Welt. Migräne gehört zu jenen Erkrankungen, die beides tun.

Sie zerschneidet Tage, formt Nächte um, zwingt den Körper in die Knie – und schafft gleichzeitig eine unsichtbare Mauer zwischen dir und deiner Umgebung.

Für viele beginnt das Leiden nicht mit dem ersten Anfall, sondern mit dem ersten Zweifel, der nicht aus dem eigenen Inneren kommt, sondern von außen. Wenn Menschen, denen man vertraut, die eigene Not herunterspielen oder ironisieren, wenn Ärzte die Schwere relativieren, wenn Kolleginnen und Kollegen flapsige Bemerkungen machen, dann entsteht ein zweiter Schmerz, der viel leiser ist als der körperliche, aber tiefer schneidet. Dieser Schmerz hat mit Unglauben zu tun – mit dem Gefühl, dass der eigene Körper zwar schreit, aber niemand hinhört.

Die Unsichtbarkeit der Migräne – und die Wunde des Nicht-Glaubens

Es ist schwer zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn der Kopf pulsiert, als würde er gleich platzen, wenn Licht in den Augen brennt, Geräusche wie Hiebe wirken und selbst der eigene Herzschlag zu laut erscheint – und trotzdem vermittelt dir dein Umfeld, du übertreibst. Viele Betroffene kennen Sätze wie: „Na, hast du dir mal wieder deine Migräne genommen?“ Diese Art von Spott tarnt sich oft als Humor, hinterlässt aber tiefe Spuren.

Besonders Frauen erleben diese Entwertung immer wieder, weil Migräne historisch und gesellschaftlich gerne als „Frauenkrankheit“ abgetan wird. Schmerzen werden dann als „Empfindlichkeit“ interpretiert, als Schwäche, die man mit ein bisschen Willenskraft überwinden könnte. Das führt dazu, dass Betroffene nicht nur gegen ihren Körper, sondern auch gegen Vorurteile ankämpfen müssen. Man beginnt irgendwann, sich selbst zu hinterfragen, bevor überhaupt jemand etwas gesagt hat. So wird aus einer neurologischen Erkrankung ein psychologischer Dauerkonflikt: Darf ich mir glauben? Darf ich meinem Körper trauen, wenn die Welt ihn anzweifelt?

Zu späte Schmerztherapie – ein Leben im Modus des Durchbeißens

Wenn Schmerzen über Jahre nicht ernst genommen werden, werden sie nicht angemessen behandelt. Und wenn sie nicht behandelt werden, werden sie stärker, häufiger und zerstörerischer. Viele Menschen mit Migräne haben lange Zeit gelernt, mit Anfällen so umzugehen, dass sie ihren Alltag trotzdem irgendwie weiterführen. Sie gehen zur Arbeit, obwohl sich jeder Schritt anfühlt, als würde der Boden unter den Füßen wanken. Sie sitzen in Besprechungen, während sich das Gesicht taub anfühlt oder das Sehen verschwimmt. Sie versuchen, Sätze zu formulieren, obwohl der Kopf dröhnt und sich jeder Gedanke wie durch Watte quält.

Dieses Durchhalten nach außen hat einen hohen Preis. Nach innen brechen Kräfte weg. Der Körper lebt dauerhaft im Ausnahmezustand, das Nervensystem ist überreizt, die Erholungsphasen sind zu kurz oder gar nicht vorhanden. Wenn eine adäquate Schmerztherapie erst spät beginnt, haben sich viele Muster schon verfestigt: der Reflex, Schmerzen herunterzuspielen, die Angst, als unzuverlässig zu gelten, und die Gewohnheit, sich selbst ganz hinten in der eigenen Prioritätenliste zu führen.

Im Rückblick erkennen viele Betroffene, wie lange sie in einem Überlebensmodus steckten, der von außen oft als „Leistungsfähigkeit“ gelobt wurde. Dass diese Leistung auf Kosten der eigenen Gesundheit ging, hat in diesen Momenten kaum jemand gesehen.

Neue Therapien – Fortschritt, der Hoffnung schenkt, aber das Leben nicht unkompliziert macht

Ein großer Wendepunkt war der Moment, als die Forschung die Rolle bestimmter Botenstoffe bei Migräne besser verstanden hat. Daraus entwickelten sich moderne Therapien, die man umgangssprachlich manchmal „Migräne-Impfung“ nennt – in Wirklichkeit handelt es sich um regelmäßig zu verabreichende Spritzen, die bestimmte Rezeptoren blockieren und so Migräneanfälle verhindern oder zumindest deutlich abschwächen können.

Für viele Betroffene ist das ein enormer Fortschritt. Die Vorstellung, dass Anfälle weniger häufig oder weniger brutal auftreten, gibt ein Stück Kontrolle zurück, das über Jahre verloren schien. Gleichzeitig bringt diese Therapie aber auch neue Abhängigkeiten und organisatorische Herausforderungen mit sich. Die Spritze muss in festgelegten Abständen gegeben werden, was eine monatliche Planung erfordert. Reisen müssen so organisiert werden, dass der Wirkstoff die Kühlkette nicht verlässt. Der Alltag ordnet sich um ein Medikament, das zwar Erleichterung bringt, aber auch immer präsent bleibt.

Diese Form der Behandlung ist also ein zweischneidiges Schwert: Sie schenkt Hoffnung, reduziert Schmerzen, eröffnet die Möglichkeit, wieder mehr am Leben teilzunehmen – und erinnert gleichzeitig jeden Monat daran, dass die Erkrankung weiterhin da ist und Aufmerksamkeit verlangt.

Die ständige Angst vor dem nächsten Anfall – Leben im Schatten einer Unsicherheit

Migräne ist nicht nur der Anfall selbst. Migräne ist auch die Zeit dazwischen. Viele Betroffene beschreiben das Leben mit Migräne als eine Art ständigen Schwebezustand, in dem man nie sicher weiß, wann der nächste Schlag kommt. Es ist, als läge über jedem Tag eine dünne Schicht aus Unsicherheit.

Manche wissen, dass bestimmte Dinge Anfälle begünstigen können. Bei anderen kommen sie aus heiterem Himmel. Besonders schwer ist es, wenn Auslöser mit Dingen verbunden sind, die andere genießen. Wenn sich das Wetter ändert, der Luftdruck steigt und die Sonne endlich stärker scheint, freuen sich viele Menschen auf den Frühling oder Sommer. Für manche Migräniker bedeutet genau diese Wetterlage jedoch Alarmbereitschaft. Während andere vom „schönen Wetter“ sprechen, wächst bei ihnen die Angst vor dem „Hammer im Kopf“.

Selbst mit einer Spritzentherapie bleiben häufig Begleitsymptome bestehen, die den Alltag massiv beeinträchtigen können. Die Übelkeit kann so stark sein, dass Essen und Trinken zur Qual werden. Licht kann so aggressiv wirken, dass Vorhänge geschlossen bleiben müssen, obwohl der Tag draußen freundlich ist. Geräusche, die für andere kaum auffallen, können sich anfühlen, als würden sie direkt ins Gehirn schneiden. Ein extrem geschärfter Geruchssinn macht Situationen, in denen viele Menschen zusammenkommen oder starke Gerüche vorherrschen, kaum erträglich. Dazu kommen Heißhungerattacken auf Kohlenhydrate, die nicht nur körperlich anstrengend sind, sondern auch das Gefühl vermitteln, vom eigenen Körper immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt zu werden.

All das führt dazu, dass soziale Kontakte anstrengend werden. Verabredungen, Ausflüge und Treffen sind nicht mehr einfach nur schöne Termine, sondern potenzielle Risiken. Die Angst, mitten in einer gemeinsamen Aktivität von einem Anfall eingeholt zu werden, lässt viele Betroffene lieber absagen oder sich zurückziehen, bevor sie in eine Situation geraten, die sie nicht mehr kontrollieren können.

Ein Gehirn auf einem anderen Takt – Migräne und das Gefühl, „anders verdrahtet“ zu sein

Viele Menschen mit Migräne berichten, dass ihr Gehirn in den migränefreien Phasen sehr aktiv ist. Gedanken laufen schnell, Ideen entstehen in hoher Frequenz, Wahrnehmung und Analyse scheinen oft intensiver als bei anderen. Diese Erfahrung kann faszinierend sein, weil sie mit Kreativität, schneller Auffassungsgabe und starkem inneren Antrieb verbunden ist. Gleichzeitig kann sie erschöpfend sein, weil das Nervensystem selten in einen wirklich ruhigen Zustand findet.

Dadurch funktionieren klassische Entspannungsmethoden nicht bei allen Betroffenen so, wie man es aus Lehrbüchern kennt. Meditation, Atemübungen oder bestimmte Entspannungsverfahren helfen manchen sehr, andere erleben dabei eher innere Unruhe oder das Gefühl, dass ihr Kopf gar nicht „leiser“ werden will. Schlaf ist häufig gestört, das Einschlafen kann lange dauern, das Durchschlafen schwierig sein. Ein geregelter Tagesablauf hilft zwar vielen, indem er dem Körper eine gewisse Struktur gibt, aber schon kleinere Abweichungen können genügen, um das Gleichgewicht zu kippen und wieder einen Anfall zu provozieren.

So entsteht das Bild eines Nervensystems, das besonders empfindlich, besonders leistungsfähig und gleichzeitig besonders verletzlich ist. Manche Migräniker empfinden sich deshalb selbst als eine Art „Spektrum“: nicht krank im klassischen Sinn, aber sehr anders wahrnehmend, schneller reagierend und damit auch leichter überlastet.

Chronische Migräne – wenn der Schmerz nicht mehr geht

Eine der größten Belastungen ist die Erfahrung, dass Migräne von einer episodischen zu einer chronischen Erkrankung werden kann. Chronische Migräne bedeutet, dass an den meisten Tagen im Monat Kopf- oder Migräneschmerzen auftreten. Irgendwann verschwimmt die Grenze zwischen „Anfall“ und „Zwischenraum“.

Menschen, die diesen Zustand erlebt haben, beschreiben ihn oft als existenziell bedrohlich. Es gibt keinen klaren Tag mehr, an dem man sicher sein kann: Heute habe ich Ruhe. Stattdessen gibt es nur Abstufungen zwischen starken und etwas weniger starken Schmerzen. Die eigene Persönlichkeit, die Stimmung, die Leistungsfähigkeit – alles wird von diesem Dauerzustand beeinflusst.

Bevor moderne Therapien zur Verfügung standen, lebten viele Betroffene genau in dieser ständigen Schmerzwirklichkeit. Dass eine Spritze den Zustand wenigstens teilweise lindern kann, ist ein riesiger Schritt. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass ein Teil der eigenen Biografie aus einem einzigen, endlosen Schmerzband bestand, auf dem Jahre verschwimmen.

Cluster-Kopfschmerz – wenn Schmerz alle Grenzen sprengt

Neben Migräne gibt es noch andere schwere Kopfschmerzerkrankungen, die vielen Menschen kaum bekannt sind. Cluster-Kopfschmerz gehört dazu und wird von Betroffenen oft als der schlimmste vorstellbare Schmerz beschrieben.

In einer Reha-Situation etwa kann einem ein junger Mann begegnen, der jede Nacht um Mitternacht vor Schmerzen schreit. Nicht, weil er übertreibt, nicht, weil er dramatisieren will, sondern weil sein Nervensystem in diesen Momenten regelrecht explodiert. Das Klinikteam versucht dann alles, um so schnell wie möglich Sauerstoff zu geben, weil das manchmal Linderung verschafft. Trotzdem bleibt das Gefühl zurück, in einem Albtraum gefangen zu sein, der jede Nacht wiederkehrt.

Wenn jemand in dieser Lage sagt, er halte das nicht mehr aus und denke an Selbsttötung, ist das kein Ausdruck von Schwäche, sondern ein Hinweis darauf, wie extrem diese Schmerzen sind. Im Vergleich dazu mag die eigene Migräne manchmal „harmloser“ erscheinen, und doch wäre es falsch, sie deshalb kleinzureden. Denn jede schwere Kopfschmerzerkrankung greift tief in das Leben, die Identität und die Zukunftsplanung eines Menschen ein.

Zwölf Prozent – und eine Dunkelziffer im Schatten

Nach aktuellen Schätzungen sind etwa zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Migräne betroffen. Das ist eine enorme Zahl, die deutlich macht, dass Migräne keine seltene Ausnahme, sondern eine Volkskrankheit ist. Gleichzeitig ist die Dunkelziffer wahrscheinlich hoch, weil viele Menschen nie eine klare Diagnose bekommen, die Anfälle mit Schmerztabletten und Durchhalten „lösen“ und nie in einer Praxis auftauchen.

So leben unzählige Menschen mit einer Erkrankung, die ihren Alltag, ihre berufliche Entwicklung, ihre Beziehungen und ihr Selbstvertrauen prägt – und bleiben doch unsichtbar. Viele erzählen niemandem, wie schlimm die Nächte wirklich sind, wie sehr sie sich vor bestimmten Tagen fürchten oder wie oft sie sich krank zur Arbeit schleppen, weil sie nicht schon wieder ausfallen wollen.

Migräne ist damit nicht nur eine neurologische Erkrankung, sondern auch ein gesellschaftliches Thema. Es geht um Anerkennung von unsichtbarem Leid, um Respekt vor Menschen, deren Schmerz man nicht sieht, um die Bereitschaft, Aussagen ernst zu nehmen, auch wenn man den Anfall nicht live erlebt. Und es geht darum, dass Betroffene sich nicht länger schämen müssen, wenn sie eine Erkrankung haben, die man nicht auf den ersten Blick erkennen kann.

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