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Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die den Alltag der Betroffenen auf ganz unterschiedliche Weise beeinflussen kann. Sie führt dazu, dass Muskeln schon nach kurzer Belastung ihre Kraft verlieren und erst nach einer Pause wieder leistungsfähig sind. Die Krankheit kann schleichend beginnen, oft mit unauffälligen Anzeichen wie hängenden Augenlidern oder undeutlicher Sprache, und entwickelt sich individuell sehr unterschiedlich. Mit einer rechtzeitigen Diagnose und der richtigen Therapie ist es jedoch möglich, ein weitgehend normales Leben zu führen und die Symptome wirksam zu kontrollieren.

Was ist Myasthenia gravis

Myasthenia gravis ist eine chronische, seltene Autoimmunerkrankung, die dazu führt, dass Muskeln schneller ermüden und ihre Kraft verlieren, als es bei gesunden Menschen der Fall ist. Das Besondere an dieser Erkrankung ist, dass die Muskeln nach einer Pause oft wieder Kraft zurückgewinnen, die Schwäche aber bei erneuter Belastung rasch wiederkehrt. Die Ursache liegt in einer Fehlreaktion des körpereigenen Immunsystems: Es bildet Antikörper, die wichtige Strukturen an der sogenannten neuromuskulären Endplatte angreifen – das ist der Bereich, an dem ein Nerv mit einem Muskel kommuniziert.

Unter normalen Umständen sendet ein Nerv über den Botenstoff Acetylcholin ein Signal an den Muskel, das diesen zum Zusammenziehen anregt. Bei Myasthenia gravis blockieren, verändern oder zerstören die Antikörper die Andockstellen (Rezeptoren) für diesen Botenstoff. Dadurch kommen weniger Signale beim Muskel an, und er kann nicht mehr so kräftig oder ausdauernd arbeiten. Diese gestörte Signalübertragung erklärt, warum selbst einfache Tätigkeiten wie Blinzeln, Kauen, Treppensteigen oder das Halten des Kopfes für Betroffene sehr anstrengend werden können.

Die Erkrankung verläuft in der Regel schubweise oder in Phasen unterschiedlicher Stärke. Manche Menschen erleben lange Zeiten mit nur leichten Beschwerden, andere haben ausgeprägte Symptome, die den Alltag stark beeinflussen. Myasthenia gravis kann in jedem Lebensalter auftreten, wird aber besonders häufig bei jungen Frauen unter 40 und bei Männern über 60 diagnostiziert.

In einigen Fällen ist die Erkrankung mit Veränderungen der Thymusdrüse verbunden, die eine wichtige Rolle im Immunsystem spielt. Bei manchen Betroffenen findet man gutartige Tumoren (Thymome), bei anderen ist die Thymusdrüse ohne Tumor vergrößert oder ungewöhnlich aktiv. Diese Verbindung zwischen Thymus und Myasthenia gravis ist noch nicht vollständig verstanden, spielt aber in der Diagnose und Behandlung eine wichtige Rolle.

Obwohl Myasthenia gravis nicht heilbar ist, gibt es heute wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die den Alltag der Betroffenen deutlich verbessern können. Der Verlauf und die Schwere der Erkrankung sind individuell sehr unterschiedlich, was eine persönliche und angepasste Therapieplanung besonders wichtig macht.

Typische Anzeichen im Alltag

Die ersten Symptome von Myasthenia gravis treten oft schleichend auf und werden anfangs leicht mit Erschöpfung, Stress oder anderen harmlosen Ursachen verwechselt. Besonders häufig beginnt die Erkrankung mit Problemen an den Augenmuskeln. Betroffene bemerken, dass ein oder beide Augenlider im Laufe des Tages langsam absinken, sodass die Sicht eingeschränkt wird. Dieses hängende Lid, auch Ptosis genannt, kann zu Beginn nur zeitweise auftreten, später aber dauerhaft bestehen. Ebenso kommt es oft zu Doppelbildern, weil die Augenmuskeln nicht mehr exakt zusammenarbeiten.

Neben den Augen können auch die Muskeln im Gesicht, im Mund- und Rachenbereich betroffen sein. Das macht sich bemerkbar, indem das Sprechen undeutlich wird, der Tonfall leiser oder nasal klingt oder längere Gespräche anstrengend werden. Auch beim Kauen und Schlucken kann die Schwäche Probleme bereiten. Harte oder trockene Speisen fallen schwerer, und es kann sogar zu Verschlucken kommen. Manche Menschen berichten, dass sie während einer Mahlzeit häufiger Pausen machen müssen, weil die Kaumuskeln ermüden.

Die Schwäche kann sich auch auf Arme, Beine, Nacken und Schultern ausbreiten. Betroffene spüren dann, dass das Halten des Kopfes, längeres Gehen oder Treppensteigen ungewohnt anstrengend wird. Typisch ist, dass die Kraft zu Beginn einer Aktivität noch vorhanden ist, aber rasch nachlässt, je länger die Bewegung fortgesetzt wird. Nach einer Ruhephase kehrt die Kraft meist zurück – bis zur nächsten Belastung.

Ein besonderes Augenmerk gilt der Atemmuskulatur. Wird sie durch die Krankheit in ihrer Funktion eingeschränkt, kann es zu Kurzatmigkeit, schneller Ermüdung beim Sprechen oder sogar zu akuter Atemnot kommen. Diese sogenannte myasthene Krise ist ein medizinischer Notfall, der sofort behandelt werden muss.

Charakteristisch für alle Symptome ist ihr Wechsel im Tagesverlauf: Morgens oder nach längerer Ruhe sind die Beschwerden oft geringer, während sie sich im Laufe des Tages oder nach körperlicher Anstrengung deutlich verstärken. Dieses Auf und Ab der Muskelkraft ist eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale der Myasthenia gravis und unterscheidet sie von vielen anderen Erkrankungen der Muskeln oder Nerven.

Wie die Diagnose gestellt wird

Um Myasthenia gravis zu erkennen, wird zunächst eine gründliche Befragung und Untersuchung durchgeführt. Bluttests können zeigen, ob bestimmte Antikörper vorhanden sind, die für die Erkrankung typisch sind. Messungen der Nerven- und Muskelreaktionen geben zusätzliche Hinweise. Häufig wird auch ein Bild vom Brustkorb gemacht, um die Thymusdrüse zu überprüfen, da sie bei manchen Betroffenen verändert ist und eine Rolle spielen kann.

Behandlung bei Myasthenia gravis – ausführlich und verständlich

Worum es bei der Therapie geht

Ziel der Behandlung ist es, die Muskelkraft zu stabilisieren, Alltagsfunktionen zuverlässig zurückzugeben und Krisen zu verhindern – bei möglichst wenigen Nebenwirkungen. Weil Myasthenia gravis sehr individuell verläuft, wird die Therapie auf Antikörpertyp, betroffene Muskelgruppen, Begleiterkrankungen und Lebensplanung abgestimmt. Kurz wirksame Maßnahmen sorgen in akuten Phasen rasch für Entlastung, während eine Langzeitstrategie die Erkrankung nachhaltig beruhigt. Beides greift ineinander und wird regelmäßig überprüft und feinjustiert.

Akute Hilfe und langfristige Stabilisierung

In Schüben oder bei deutlicher Verschlechterung zählt zuerst, die Übertragung von Nervensignalen auf den Muskel schnell zu verbessern. Das gelingt häufig durch intravenöse Immunglobuline oder durch Verfahren, die krankmachende Antikörper aus dem Blut entfernen, wie Plasmapherese oder Immunadsorption. Gleichzeitig oder im Anschluss wird eine länger wirksame medikamentöse Einstellung aufgebaut, damit die Erleichterung nicht nur kurz anhält, sondern der Alltag verlässlich planbar wird.

Acetylcholinesterase-Hemmer (z. B. Pyridostigmin)

Diese Medikamente hemmen den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin, sodass mehr Signal am Muskel ankommt. Viele spüren schon nach kurzer Zeit stabilere Augenlider, klareres Sprechen oder weniger Ermüdung beim Kauen. Da die Wirkung nur einige Stunden anhält, wird die Tagesdosis verteilt; vor anstrengenden Tätigkeiten kann die Einnahme gezielt gelegt werden. Möglich sind Magen-Darm-Beschwerden, Bauchkrämpfe, vermehrter Speichelfluss, Schwitzen oder ein verlangsamter Puls. Bei zu hoher Dosis kann eine cholinerge Überstimulation auftreten, die paradoxerweise die Schwäche verstärkt; dann muss die Dosis ärztlich angepasst werden. Bei MuSK-positiver MG ist der Nutzen oft geringer – das liegt an biologischen Unterschieden der Erkrankung.

Kortikosteroide (Prednison/Prednisolon)

Kortison dämpft die fehlgeleitete Immunreaktion zuverlässig und kann innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen spürbar helfen. Zu Beginn ist eine vorübergehende Verschlechterung möglich; deshalb wird häufig langsam aufdosiert und eng kontrolliert. Langfristig wird die Dosis so weit wie möglich gesenkt, um Nebenwirkungen zu begrenzen. Dazu zählen Gewichtszunahme, Blutzucker- und Blutdruckanstieg, Stimmungsschwankungen, Hautveränderungen, Osteoporose und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Knochen- und Magenschutz, Bewegung, Vitamin D und Calcium sowie regelmäßige Kontrollen gehören zum Plan. Das mittelfristige Ziel lautet fast immer: so wenig Steroid wie möglich, idealerweise mithilfe steroid-sparender Medikamente.

Steroid-sparende Immunsuppressiva

Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Tacrolimus, Ciclosporin und seltener Methotrexat verringern die Bildung krankmachender Antikörper und stabilisieren den Verlauf, benötigen aber Geduld: Der volle Effekt zeigt sich oft erst nach einigen Monaten. Vor Azathioprin wird meist die TPMT-Aktivität geprüft; unter der Therapie werden Blutbild und Leberwerte überwacht. Mycophenolat wirkt ähnlich, macht aber häufiger Magen-Darm-Beschwerden und ist in der Schwangerschaft nicht erlaubt. Tacrolimus und Ciclosporin können Blutdruck und Nierenfunktion beeinflussen; regelmäßige Kontrollen sind hier besonders wichtig. Diese Medikamente sind die Arbeitstiere der Langzeittherapie und helfen, Kortison zu reduzieren.

Rituximab (B-Zell-Therapie)

Rituximab richtet sich gegen B-Zellen, aus denen Antikörper entstehen. Es wird besonders bei MuSK-positiver und therapieresistenter MG eingesetzt. Viele Betroffene profitieren deutlich und teilweise lang anhaltend. Vor Beginn wird der Impfstatus geprüft; während der Behandlung sind Infektionen genauer zu beobachten, und mögliche Virusreaktivierungen werden ärztlich überwacht.

FcRn-Hemmer (z. B. Efgartigimod, Rozanolixizumab)

Diese zielgerichteten Therapien senken den Spiegel der krankmachenden IgG-Antikörper, indem sie den Recycling-Mechanismus des Körpers für IgG blockieren. Viele berichten über eine spürbare Besserung innerhalb weniger Wochen. Die Anwendung erfolgt als Infusion oder subkutane Gabe in Zyklen. Häufige, meist milde Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Infekte der oberen Atemwege. Sie kommen vor allem bei AChR-positiver MG zum Einsatz; Eignung und Kostenübernahme werden individuell geklärt.

Komplement-Hemmer (Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan)

Diese Medikamente blockieren einen Teil des Immunsystems (Komplement), der an der Schädigung der neuromuskulären Endplatte bei AChR-positiver MG beteiligt ist. Sie können schwere Verläufe deutlich und nachhaltig bessern. Wichtig ist der Schutz vor Meningokokken-Infektionen: Erforderliche Impfungen erfolgen in der Regel vor Therapiebeginn; an Warnzeichen wie Fieber, Kopfschmerz und Nackensteifigkeit muss unter der Behandlung sofort gedacht werden. Ravulizumab hat längere Infusionsabstände; Zilucoplan wird täglich subkutan gespritzt. Die Wahl berücksichtigt medizinische Eignung, praktische Vorlieben und logistische Aspekte.

Intravenöse Immunglobuline (IVIG)

IVIG können in akuten Phasen und bei speziellen Situationen rasch stabilisieren. Sie modulieren das Immunsystem auf mehreren Ebenen. Die Gabe erfolgt über wenige Tage, der Effekt hält oft Wochen an. Mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden, selten Thrombosen oder Nierenprobleme; eine gute Hydrierung und eine angepasste Infusionsgeschwindigkeit verringern Risiken.

Plasmapherese und Immunadsorption

Diese Verfahren entfernen krankmachende Antikörper direkt aus dem Blut und wirken darum besonders schnell. Üblich sind mehrere Sitzungen über wenige Tage. Die Wirkung ist kräftig, aber zeitlich begrenzt; oft wird anschließend eine Langzeittherapie angepasst. Mögliche Begleiterscheinungen sind Blutdruckschwankungen, Blutungsneigung oder Infektionsrisiken am Gefäßzugang. Das Behandlungsteam führt sicher durch die Maßnahme und plant die Anschlussbehandlung.

Thymektomie (Entfernung der Thymusdrüse)

Bei Thymom ist die Operation Standard. Auch ohne Tumor kann eine Thymektomie – vor allem bei AChR-positiver, generalisierter MG – den Krankheitsverlauf verbessern und den Bedarf an Kortison senken. Heute wird häufig minimal-invasiv operiert. Ob der Eingriff sinnvoll ist, hängt von Antikörpertyp, Alter, Krankheitsdauer und Gesamtsituation ab. Vor der Operation wird die MG stabil eingestellt, damit Narkose und Atemfunktion sicher sind.

Krisenmanagement und Notfallplan

Starke Schluckstörungen, zunehmende Kurzatmigkeit, leises, abgehacktes Sprechen oder das Gefühl, Sätze nicht mehr in einem Atemzug sagen zu können, sind Warnzeichen. In solchen Situationen ist medizinische Hilfe sofort notwendig. Ein persönlicher Notfallplan mit Kontaktwegen, eine Information im Smartphone-Notfallpass und – wenn verfügbar – ein MG-Notfallausweis erleichtern schnelle Entscheidungen im Ernstfall. Im Krankenhaus stehen nichtinvasive Beatmung, Atemtherapie, IVIG sowie Plasmapherese oder Immunadsorption bereit.

Alltag, Selbsthilfestrategien und Reha

Regelmäßige Pausen, Energiemanagement und eine kluge Tagesstruktur machen einen spürbaren Unterschied. Viele profitieren von leichtem Ausdauertraining und vorsichtigem Kraftaufbau unter fachlicher Anleitung. Bei Kau- und Schluckproblemen helfen weiche, feuchte Speisen in kleinen Portionen und eine ruhige Essumgebung; Logopädie kann Sprechen und Schlucken verbessern. Physiotherapie stärkt Haltung und Atmung; Ergotherapie erleichtert den Alltag mit angepassten Strategien und Hilfsmitteln. Ausreichender Schlaf, Stressreduktion und ein kühles Umfeld sind oft wohltuend, weil Hitze die neuromuskuläre Übertragung zusätzlich belasten kann. Psychologische Unterstützung und Austausch in Selbsthilfegruppen geben Halt.

Impfungen, Schwangerschaft, Operationen

Unter Immunsuppression sind Standardimpfungen in der Regel sinnvoll; Lebendimpfstoffe werden individuell abgewogen. Ein Kinderwunsch ist mit MG möglich, erfordert aber vorausschauende Planung, weil manche Medikamente wie Mycophenolat oder Methotrexat in der Schwangerschaft kontraindiziert sind, während andere – etwa Pyridostigmin oder eine sorgfältig eingestellte Steroidtherapie – vertretbar sein können. Für Operationen und Narkosen ist Erfahrung mit MG wichtig: Bestimmte Muskelrelaxanzien und Dosierungen werden angepasst, die Atemfunktion wird eng überwacht.

Arzneimittel, die MG verschlechtern können

Einige Medikamente können die neuromuskuläre Übertragung stören oder die Symptome verstärken. Dazu zählen bestimmte Antibiotika wie Aminoglykoside, Fluorchinolone und einige Makrolide, höher dosiertes Magnesium, Betablocker, einzelne Herzrhythmusmittel und Muskelrelaxanzien in Narkosen. Nichts sollte eigenständig abgesetzt werden; behandelnde Teams sollten konsequent über die MG informiert werden, damit Alternativen gewählt und Kontrollen geplant werden können.

Therapie ist Teamarbeit

Die beste Behandlung ist die, die zur individuellen Situation passt. Manchmal braucht es mehrere Anläufe, bis die richtige Kombination gefunden ist: ein Mittel, das schnell greift, ein steroid-sparendes Immunsuppressivum für die Langzeitkontrolle und – falls erforderlich – eine zielgerichtete Therapie. Entscheidend sind regelmäßige Rückmeldungen, wie es tatsächlich geht, sowie Labor- und Verlaufskontrollen. Ein kleines Symptomtagebuch oder eine App hilft, Muster zu erkennen und Therapieentscheidungen sicherer zu treffen.

Ermutigendes Schlusswort

Myasthenia gravis ist anspruchsvoll, aber gut behandelbar. Mit einer klugen Kombination aus Medikamenten, Alltagsstrategien und verlässlicher ärztlicher Begleitung erreichen viele Betroffene eine stabile, selbstbestimmte Lebensqualität. Der Weg ist individuell – und er ist gangbar.

Mit einer passenden Behandlung und guter ärztlicher Begleitung können viele Menschen mit Myasthenia gravis ein weitgehend normales Leben führen. Wichtig ist, Überlastungen zu vermeiden, auf Warnsignale des Körpers zu achten und bei plötzlichen Verschlechterungen rasch medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Erkrankung kann herausfordernd sein, doch sie muss den Alltag nicht vollständig bestimmen.

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