Eine Alzheimer-Diagnose trifft eine Familie mitten ins Herz. Plötzlich verändert sich das Leben. Der Mensch, den man kennt und liebt, beginnt sich zu verändern – mal langsam, mal schneller, aber immer spürbar. Gedächtnislücken tauchen auf, vertraute Handlungen werden schwieriger, Gespräche stocken. Für Angehörige ist das eine schwere Reise, geprägt von Sorge, Organisation, Hoffnung und der ständigen Frage: Gibt es etwas, das hilft?

Über viele Jahre lautete die Antwort: nur ein wenig. Medikamente konnten Symptome lindern, die Krankheit selbst aber nicht aufhalten. Das hat sich geändert. Mit Leqembi (Lecanemab) gibt es nun erstmals eine Behandlung, die den Verlauf von Alzheimer spürbar verlangsamen kann – allerdings nur im frühen Stadium. Heilung ist es nicht. Aber es ist ein Stück gewonnene Zeit: Zeit für Gespräche, gemeinsame Spaziergänge, vertraute Rituale, die sonst vielleicht schon früher verloren gegangen wären. Seit dem 15. April 2025 ist Leqembi in der Europäischen Union zugelassen.
Warum Leqembi an einer entscheidenden Stelle ansetzt
Bei Alzheimer lagern sich winzige Eiweißteilchen, sogenannte Amyloid-Beta-Proteine, im Gehirn ab. Zuerst sind sie löslich und unauffällig, doch dann verkleben sie zu Plaques. Diese Ablagerungen stören die Kommunikation zwischen den Nervenzellen und lösen Entzündungen aus. Nach und nach sterben Nervenzellen ab, und das Gehirn verliert an Substanz. Parallel verändern sich Tau-Proteine in den Zellen selbst.
Leqembi ist ein Antikörper, der vor allem an die frühen, löslichen Formen von Amyloid-Beta bindet. Dadurch markiert er sie für das Immunsystem, das sie abbauen kann. Mit der Zeit nimmt die Menge der Plaques ab, und der Krankheitsprozess verlangsamt sich. Der Weg der Krankheit bleibt derselbe, aber er wird langsamer beschritten.
Wer Leqembi bekommen kann – und warum der richtige Zeitpunkt zählt
Leqembi wirkt nur dann, wenn Alzheimer noch im frühen Stadium ist. Das bedeutet:
- Es bestehen erste Gedächtnislücken und Orientierungsprobleme, der Alltag ist aber noch weitgehend selbstständig möglich, oder
- es liegt eine leichte kognitive Störung (MCI) vor, die sicher durch Alzheimer verursacht ist.
Bevor die Behandlung beginnen kann, braucht es den Nachweis von Amyloid im Gehirn – entweder durch eine PET-Untersuchung oder durch eine Analyse des Nervenwassers (Liquor). In fortgeschrittenen Stadien ist kein gesicherter Nutzen gezeigt, weil dann andere Prozesse (z. B. Tau-Veränderungen) dominieren.
Wie die Therapie abläuft – vom Start bis zur Erhaltung
Startphase: Leqembi wird als Infusion alle zwei Wochen über etwa eine Stunde gegeben. Diese Phase dauert mindestens 18 Monate. Parallel erfolgen geplante MRT-Kontrollen, um Nebenwirkungen früh zu erkennen.
Erhaltung: Nach der Startphase gibt es neue Möglichkeiten, die den Alltag erleichtern können:
- Monatliche IV-Erhaltung: Die Infusionen können auf ein monatliches Schema umgestellt werden.
- Subkutane Variante (USA): Ein wöchentlicher Autoinjektor zur Injektion unter die Haut (zu Hause oder in der Praxis) ist zugelassen. Diese Option kann Wege und Wartezeiten reduzieren.
Wichtig bleibt neben der Medikamentengabe alles, was dem Gehirn gut tut: Bewegung, geistige Aktivität, gesunde Ernährung und soziale Kontakte.
Was die Studien gezeigt haben – und was das für den Alltag bedeutet
In der großen CLARITY-AD-Studie mit über 1.800 Menschen im frühen Alzheimer-Stadium schritt die Krankheit unter Leqembi nach 18 Monaten etwa 27 % langsamer voran als unter Placebo (gemessen an einer Skala, die Denken und Alltagsfunktionen bewertet).
In der Praxis heißt das: Fähigkeiten wie Orientierung, Planen, Bezahlen oder Gespräche bleiben länger erhalten. Es sind oft Monate – manchmal auch mehr. Für Familien ist diese Zeit kostbar, weil sie Struktur, Nähe und gemeinsame Erlebnisse ermöglicht.
Nebenwirkungen – warum Aufmerksamkeit so wichtig ist
Die wichtigste Nebenwirkung heißt ARIA (Amyloid-Related Imaging Abnormalities). Dabei kann es zu Flüssigkeitseinlagerungen im Gehirn (ARIA-E) oder zu kleinen Blutungen (ARIA-H) kommen.
- Häufigkeiten (Studien/Label): ARIA-E bei etwa 13 %, ARIA-H bei etwa 17 %; symptomatische ARIA-E bei rund 3 %.
- Höheres Risiko bei APOE4: Träger der Genvariante (bes. homozygot) haben deutlich höhere Raten (gesamt bis ~45 %).
- Symptome: oft keine; möglich sind Kopfschmerzen, Schwindel, neue Verwirrtheit, Übelkeit, selten Krampfanfälle.
MRT-Monitoring: Vor Start ein Baseline-MRT; dann Kontrollen vor der 5., 7. und 14. Infusion. Zusätzlich wird eine frühe Kontrolle vor der 3. Gabe empfohlen, weil Nebenwirkungen gleich zu Beginn auftreten können. Bei Beschwerden bitte sofort ärztlich Kontakt aufnehmen. Besondere Vorsicht gilt bei Blutverdünnung.
Der Blick auf andere Medikamente
- Aduhelm (Aducanumab): 2021 in den USA zugelassen, wegen schwacher Daten heftig kritisiert; in Europa nicht zugelassen.
- Donanemab (Kisunla): Seit 2024 in den USA zugelassen; monatliche Infusion; „treat-to-target“-Ansatz (Therapie kann enden, wenn Amyloid ausreichend gesenkt ist). Für manche Familien klingt das entlastend, andere bevorzugen eine kontinuierliche Erhaltung. Die Wahl sollte individuell mit dem Zentrum besprochen werden.
Leqembi bleibt derzeit die Therapie mit den klarsten Belegen und der größten Erfahrung.
Kosten und Zugang – was Familien wissen sollten
In den USA kostet eine Jahresbehandlung mit Leqembi rund 26.500 $. Hinzu kommen Kosten für Diagnostik, MRT-Kontrollen und die ärztliche Begleitung. In der EU ist Leqembi zugelassen; in Deutschland entscheidet nach der Nutzenbewertung der G-BA, ob und in welchem Umfang die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Es lohnt sich, früh mit Ärztinnen/Ärzten und der Kasse über Unterstützung zu sprechen.
Hoffnung und Grenzen – was Familien realistisch erwarten können
Leqembi schenkt keine Heilung. Aber es schenkt Zeit – und die ist bei Alzheimer kostbar: Zeit für wichtige Gespräche, für schöne Momente, für Routinen, die Sicherheit geben. Gleichzeitig bleibt es wichtig, die Grenzen im Blick zu behalten: Die Therapie ist aufwendig, erfordert regelmäßige Termine und sorgfältiges Monitoring und hilft nur im frühen Stadium. Sie verlangsamt das Fortschreiten – sie hält es nicht an.
Fazit – ein Schritt nach vorn
Leqembi ist ein Meilenstein: Zum ersten Mal lässt sich der Verlauf von Alzheimer im Frühstadium bremsen. Für viele Familien bedeutet das Hoffnung – und die Möglichkeit, die gemeinsame Zeit zu verlängern. Diese Chance ist wertvoll, sie braucht aber Aufklärung, Aufmerksamkeit und die enge Begleitung durch erfahrene Fachteams. So kann aus einer anspruchsvollen Therapie ein tragfähiger Weg für den Alltag werden.