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Es gibt Erschöpfung, die man auskurieren kann: ein paar Nächte schlecht geschlafen, zu viel gearbeitet, ein stressiger Monat – und mit Ruhe, Urlaub und Schlaf wird es langsam besser. Und dann gibt es eine Erschöpfung, die sich völlig anders anfühlt. Sie verschwindet nicht mit Schlaf. Sie reagiert nicht auf „mehr Bewegung“. Sie ist nicht nur Müdigkeit, sondern ein Zusammenbruch der inneren Systeme.

Schwarze Silhouette einer jungen Frau mit Hoodie vor Farbverlauf von Blau über Magenta zu Orange und Gelb. Darüber der Text: ME/CFS – wenn der Körper nicht mehr kann. Chronische Erschöpfung, die tief im Inneren beginnt. Nicht verstanden und stigmatisiert.
ME/CFS – wenn der Körper nicht mehr kann: Chronische Erschöpfung, die tief im Inneren beginnt – nicht verstanden und stigmatisiert.

Beim Chronischen Fatigue-Syndrom / ME (Myalgische Enzephalomyelitis) beschreiben viele Betroffene, dass ihr Leben irgendwann in ein „Davor“ und ein „Danach“ zerfällt. Davor gab es Tage, die voll waren – mit Beruf, Familie, Haushalt, Freunden, Hobbys. Man war vielleicht oft müde oder gestresst, aber grundsätzlich belastbar. Danach reicht manchmal ein ganz normaler Alltagsschritt, um deinen Körper und dein Gehirn in die Knie zu zwingen.

Ein wichtiger Satz, der ME/CFS sehr gut trifft, lautet: Schon geringe Belastungen können das Gehirn regelrecht „abwürgen“, sodass selbst einfache Aufgaben schwerfallen.

Genau dieses Gefühl – dass dein Kopf plötzlich dicht macht – ist für viele eines der schlimmsten Symptome. Es betrifft nicht nur deine Leistungsfähigkeit, sondern dein Selbstbild, deine Identität und dein Gefühl von Kontrolle über dich selbst.

Wenn das Gehirn „abgewürgt“ wird – wie sich kognitive Erschöpfung wirklich anfühlt

Viele Menschen können sich unter „erschöpft im Kopf“ nur vorstellen, dass man unkonzentriert ist oder sich nicht so gut merken kann, was man liest. Die kognitive Erschöpfung bei ME/CFS geht viel weiter. Sie ist kein bisschen „ich bin müde und unaufmerksam“, sondern eher wie ein innerer Not-Aus-Schalter.

Typisch ist, dass du mit ganz einfachen Dingen beginnst: eine Nachricht lesen, ein Formular ausfüllen, ein Gespräch führen, einen Termin planen. Vom Anspruch her nichts Besonderes – vor deiner Erkrankung hätte das keine Mühe gemacht. Du setzt an, liest, hörst zu, denkst nach – und plötzlich merkst du, wie dir alles entgleitet. Der Text, der eben noch Sinn ergeben hat, verschwimmt innerlich zu bedeutungslosen Worten. Du weißt noch, dass du etwas verstehen wolltest, aber der Zugang ist weg.

Manche beschreiben es als „Nebel im Kopf“, andere als „wie Watte“, wieder andere als eine Art inneres Wegkippen. Es ist, als würde dein Gehirn mittendrin die Verbindung kappen. Du bist noch wach, du bist dir bewusst, dass du etwas tun willst – aber der Teil von dir, der ordnet, versteht, verknüpft, macht einfach zu.

Dazu kommt oft eine sehr unangenehme Mischung aus Reizüberflutung und innerer Starre. Geräusche werden plötzlich unerträglich. Stimmen verschwimmen. Du schaffst es kaum, einem Satz bis zum Ende zu folgen. Selbst eine Frage zu beantworten, kann sich anfühlen wie eine Prüfung, für die dir jedes Material fehlt.

Besonders quälend ist, dass diese Zustände nicht planbar sind. Du kannst dich am Vormittag relativ klar fühlen und dir denken: „Heute geht vielleicht ein bisschen mehr“, beginnst zu lesen oder mit jemandem zu reden – und innerhalb kurzer Zeit rutscht du in diese geistige Blockade. Es fühlt sich nicht so an, als würdest du langsam müde, sondern eher, als hätte jemand das Licht im Kopf ausgeschaltet.

Weil Denken ein Kern deiner Persönlichkeit ist – deine Art, dich zu organisieren, Entscheidungen zu treffen, dich auszudrücken – greift dieses Symptom sehr tief. Es macht Angst, weil du merkst: Ich kann mich auf meine geistige Leistungsfähigkeit nicht mehr verlassen. Das ist kein „zu viel Handy“ und kein „zu wenig Schlaf“, sondern ein neurologisches Erschöpfungsphänomen, das direkt mit ME/CFS zusammenhängt.

Der späte Crash – warum ME/CFS dich erst später „bestraft“

Das Merkmal, das ME/CFS von vielen anderen Erkrankungen unterscheidet, ist die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM). Dahinter steckt etwas sehr Gemeines: Der Körper reagiert nicht nur während der Belastung, sondern vor allem verzögert – Stunden oder sogar einen Tag später.

Du hast vielleicht einen Moment, in dem du denkst: „Heute läuft es etwas besser.“ Du telefonierst etwas länger, beantwortest ein paar Mails, kochst, triffst dich kurz mit jemandem oder denkst intensiver über ein Thema nach. Währenddessen fühlst du dich vielleicht nur normal erschöpft oder leicht überfordert, aber noch „halbwegs okay“. Und dann, später – wenn du schon zur Ruhe gekommen bist –, kommt der Einbruch.

Der Crash kann sich sehr unterschiedlich anfühlen. Manche erleben ihn wie eine schwere Grippe ohne Fieber: Der ganze Körper schmerzt, die Muskeln sind schwer und brennend, du fühlst dich fiebrig, obwohl das Thermometer normal ist. Andere spüren ein extremes inneres Leerlauf-Gefühl: Jede Bewegung wird zu viel, der Weg zur Toilette fühlt sich an wie ein Bergaufmarsch. Der Kopf ist wie leergeräumt, gleichzeitig aber von einem dumpfen Druck erfüllt.

Hinzu kommt, dass alle Symptome gleichzeitig verstärkt auftreten können: Schwindel, Herzrasen beim Aufstehen, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit, Schlaflosigkeit oder ein nicht erholsamer Schlaf, Konzentrationsstörungen, Übelkeit, Kreislaufprobleme. Manchmal reicht es schon, dass eine Aktivität ein wenig zu lang gedauert hat, und du zahlst ein, zwei oder mehrere Tage dafür.

Das macht das Leben mit ME/CFS unberechenbar. Viele Betroffene beginnen, jede Aktivität innerlich durchzurechnen: „Was kostet mich das? Wie wahrscheinlich ist ein Crash? Kann ich mir den leisten?“ Es ist, als würdest du deinen Tag nicht mehr in Stunden einteilen, sondern in Energieportionen, die schnell aufgebraucht sind und sich nur sehr schwer wieder auffüllen lassen.

Dieser verzögerte Absturz zerstört auch das Vertrauen in die eigenen „guten Momente“. Du kannst dich in einem halbwegs besseren Zustand nicht mehr einfach freuen, sondern denkst automatisch: „Wenn ich jetzt zu viel mache, kommt es zurück – nur härter.“ Das ist ein enormer psychischer Druck, zusätzlich zur körperlichen Belastung.

Ein Körper im Dauer-Alarm – wenn Regulierung nicht mehr funktioniert

ME/CFS betrifft das ganze System: Nerven, Immunsystem, Kreislauf, Muskeln, Schlaf, Reizverarbeitung. Viele Betroffene haben das Gefühl, ihr Körper sei ständig im Alarmmodus, ohne dass sie ihn beruhigen können.

Typisch sind Probleme mit dem autonomen Nervensystem, also dem Teil, der Dinge steuert, über die du normalerweise nicht nachdenken musst: Herzschlag, Blutdruck, Temperatur, Verdauung. Beim Aufstehen rast plötzlich der Puls, der Blutdruck sackt ab, es wird schwarz vor Augen oder dir wird schwindlig. Schon Sitzen kann sich instabil anfühlen, als würde dein Kreislauf jede Sekunde wegrutschen.

Dazu kommen oft starke Reizempfindlichkeiten. Licht, das früher einfach nur hell war, wird schmerzhaft. Geräusche, die andere gar nicht wahrnehmen, sind für dich wie ein Schlag in den Kopf. Mehrere Menschen, die gleichzeitig reden, sind kaum noch zu ertragen. Selbst positive Aufregung – ein nettes Gespräch, Besuch, ein schöner Film – kann das System völlig überfordern.

Der Schlaf bringt keine wirkliche Erholung. Du kannst lange im Bett liegen, und trotzdem wachst du auf, als hättest du gar nicht geschlafen. Der Körper fühlt sich schwer und zerschlagen an, der Kopf ist vernebelt, und manchmal sind die Symptome morgens sogar am schlimmsten.

All das führt dazu, dass du dich in deinem eigenen Körper nicht mehr sicher fühlst. Er reagiert übertrieben, unberechenbar, manchmal widersprüchlich. Du machst „nichts“ – und wirst dafür bestraft. Du machst ein kleines bisschen „mehr“ – und der Absturz ist vorprogrammiert.

Wichtig ist: Das ist keine Einbildung und keine Charakterschwäche. Es sind reale Veränderungen in der Regulation von Nervensystem, Energiestoffwechsel und Immunsystem. Nur weil man sie von außen nicht sieht, sind sie nicht weniger gravierend.

Wenn dein altes Leben immer weiter wegrückt

ME/CFS bedeutet oft nicht, dass von heute auf morgen alles weg ist. Es ist eher ein langsamer, schmerzhafter Rückzug. Erst fällt es schwer, Vollzeit zu arbeiten. Dann werden Hobbys seltener, Treffen werden anstrengend, Wege kürzer. Du sagst öfter ab, ziehst dich zurück, kannst weniger planen.

Mit der Zeit merkst du, dass dein altes Leben – so wie es einmal war – immer weiter in die Ferne rückt. Dinge, die dich früher definiert haben, funktionieren nicht mehr: deine Rolle im Beruf, dein Engagement, deine Zuverlässigkeit, deine Spontaneität, vielleicht auch dein Humor im Zusammenspiel mit anderen.

Viele Betroffene trauern um diese frühere Version von sich selbst. Um das Ich, das schnell denken, viel leisten, sich kümmern konnte. Diese Trauer ist keine Übertreibung, sondern eine natürliche Reaktion auf einen massiven Verlust. Du verlierst nicht nur Fähigkeiten, sondern auch Selbstverständlichkeiten: morgens aufzustehen und grob zu wissen, wie der Tag laufen wird; dich verabreden zu können, ohne Angst vor einem Crash zu haben; Pläne zu schmieden, die über ein paar Tage hinausgehen.

Gleichzeitig entwickelt sich oft eine leise, hart erarbeitete Form von Widerstand: Du suchst neue Wege, mit minimaler Energie zumindest ein bisschen Selbstbestimmung zurückzuholen. Kleine Rituale, eine sorgfältig dosierte Tagesstruktur, Momente, die trotz allem schön sind – ein Gespräch, das gut lief, ein Tag, an dem die Symptome etwas ruhiger waren, ein Gefühl, verstanden worden zu sein.

Es ist kein Happy-End. Aber es ist ein inneres „Ich lasse mich nicht komplett auslöschen“, auch wenn das Leben massiv eingeschränkt ist.

Wenn andere nicht verstehen, was mit dir los ist

Viele Menschen mit ME/CFS sagen: Die Krankheit selbst ist schlimm – aber das Unverständnis der anderen ist manchmal noch schlimmer.

Das Problem beginnt damit, dass man dir die Erkrankung oft nicht ansieht. Es gibt keinen Gips, keine sichtbaren Wunden, keine offensichtlichen Geräte, die auf eine schwere Krankheit hinweisen. Du kannst, wenn du deine Kräfte sammelst, für einen kurzen Moment „relativ normal“ wirken: kurz mit jemandem sprechen, ein Foto machen, eine Nachricht schreiben. Für Außenstehende sieht das dann aus wie: „So schlimm kann es ja nicht sein.“

Dass du danach vielleicht stunden- oder tagelang völlig erschöpft bist, bleibt unsichtbar. Die vielen Momente, in denen du nicht kannst – in denen du Termine absagst, im Dunkeln liegst, jede Kleinigkeit als Überforderung erlebst –, sieht fast niemand.

Daraus entstehen typische, schmerzhafte Reaktionen:

  • Menschen schlagen dir „einfache Lösungen“ vor („Geh mehr raus“, „Mach Sport“, „Denk nicht so viel darüber nach“).
  • Andere zweifeln, ob es wirklich so schlimm ist, weil du ja „online“ bist oder zwischendurch mal lachen kannst.
  • Wieder andere ziehen sich zurück, weil du „immer absagst“ oder „nicht mehr wie früher“ bist.

Besonders verletzend sind Sätze, die deine Glaubwürdigkeit angreifen, zum Beispiel:

  • „Das bildest du dir ein.“
  • „Du bist doch eigentlich nur depressiv.“
  • „Wenn du wirklich wollen würdest, würdest du das schaffen.“

Solche Aussagen ignorieren komplett, wie hart du bereits kämpfst – jeden Tag, jede Stunde, gegen deinen Körper, gegen deine Grenzen, gegen deine Angst davor, dass es noch schlimmer werden könnte.

Was viele Betroffene sich wünschen, ist gar nichts Spektakuläres. Sie wünschen sich Menschen, die sagen:

  • „Ich sehe, dass du kämpfst, auch wenn ich es nicht fühlen kann.“
  • „Ich glaube dir, auch wenn ich es nicht verstehe.“
  • „Sag mir, was dir hilft – ich passe mich deinem Tempo an.“

Allein ernst genommen zu werden, macht einen gewaltigen Unterschied. Es nimmt nicht die Symptome weg, aber es nimmt ein Stück der Einsamkeit, die diese Krankheit mit sich bringt.

Leben in engen Grenzen – und trotzdem nicht wertlos

Mit ME/CFS zu leben bedeutet oft, das eigene Leben in sehr kleinen Einheiten zu organisieren. Viele nutzen Pacing als Strategie: Aktivitäten werden bewusst verkürzt, Ruhepausen werden eingeplant, lange Gespräche oder Wege werden aufgeteilt oder ganz gestrichen.

Von außen kann das wie Rückzug aussehen. In Wahrheit ist es ein sehr aktiver Schutzmechanismus. Du beobachtest dein Energielevel, achtest auf die Signale deines Körpers, versuchst Abstürze zu verhindern oder abzumildern. Es ist anstrengend, ständig mitzudenken, was du dir „leisten“ kannst – aber es ist oft der einzig mögliche Weg, um überhaupt noch ein bisschen Stabilität zu halten.

Wichtig ist: Diese Grenzen sagen nichts über deinen Wert als Mensch. Sie sagen nur etwas darüber aus, was dein Körper und dein Nervensystem gerade leisten können. Deine Persönlichkeit, deine Fähigkeiten, deine Geschichte, dein Humor, deine Empathie – all das ist nicht verschwunden, auch wenn du vieles gerade nicht ausdrücken kannst.

Es ist völlig legitim, wütend, traurig, verzweifelt oder erschöpft von der ganzen Situation zu sein. Du musst daraus keine „Heldengeschichte“ machen. Du musst nicht „das Beste daraus machen“, wenn dir gerade nicht danach ist. Du darfst einfach anerkennen: Das hier ist hart. Punkt.

Und gleichzeitig darfst du dir auch zugestehen: Dass du noch da bist, dass du dich informierst, dass du versuchst, deinen Alltag irgendwie zu strukturieren – das ist bereits eine enorme Leistung. Sie ist vielleicht unsichtbar für andere, aber sie ist real.

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