Neurexan wird von vielen Menschen bei Stress, Schlafproblemen und nervöser Unruhe eingenommen. Es gehört zu den bekanntesten frei verkäuflichen Präparaten, die im Bereich der sogenannten natürlichen oder homöopathischen Arzneimittel verortet werden. Doch wie wirksam ist Neurexan tatsächlich? Was ist drin – und was kann man realistischerweise davon erwarten? Dieser Artikel wirft einen fundierten, kritischen Blick auf das Präparat und seine Einsatzgebiete, ohne auf Werbeversprechen hereinzufallen.
Was ist Neurexan?
Neurexan ist ein sogenanntes homöopathisches Komplexmittel, das als rezeptfreies Arzneimittel in Apotheken erhältlich ist. Es wird von der Firma Heel hergestellt und beworben mit dem Ziel, bei nervöser Unruhe, innerer Anspannung und Schlafstörungen zu helfen. Die Tablettenform ist die am häufigsten verkaufte Darreichungsform, es gibt aber auch Tropfen. Anders als bei klassischen Monopräparaten der Homöopathie, bei denen nur eine einzige Substanz in einer bestimmten Potenz enthalten ist, kombiniert Neurexan mehrere Wirkstoffe. Das ist typisch für sogenannte Komplexmittel, bei denen mehrere homöopathische Einzelsubstanzen zusammenwirken sollen – in der Hoffnung, dass sie sich ergänzen oder gegenseitig verstärken.
Die Zusammensetzung von Neurexan umfasst vier Wirkstoffe:
- Passiflora incarnata (Passionsblume) D2: Die Passionsblume ist eine bekannte Heilpflanze, der beruhigende, angstlösende und schlaffördernde Eigenschaften zugeschrieben werden. In vielen pflanzlichen Beruhigungsmitteln ist sie Bestandteil. In Neurexan wird sie jedoch in der Potenz D2 verwendet, das heißt im Verhältnis 1:100 verdünnt – und das zweimal. Damit enthält die Zubereitung noch einen gewissen Anteil an Ausgangsstoff, wenn auch sehr gering.
- Avena sativa (Hafer) D2: Hafer gilt in der Pflanzenheilkunde als aufbauendes Tonikum bei Erschöpfung, Nervosität und Reizbarkeit. Auch hier handelt es sich um eine D2-Potenz, also eine Verdünnung, bei der noch Spuren des Ausgangsstoffs enthalten sein können.
- Coffea arabica (Kaffee) D12: Diese Substanz ist besonders interessant, denn Koffein ist in seiner reinen Form bekannt dafür, wach zu machen. In homöopathischer Verdünnung jedoch – und D12 ist bereits eine sehr hohe Verdünnung – wird Coffea traditionell bei Schlafstörungen, Nervosität und Überreiztheit eingesetzt, also genau gegenteilig zur Wirkung von Koffein selbst. Das ist ein typisches Konzept der Homöopathie: „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“.
- Zincum isovalerianicum (Zinkisovalerianat) D4: Eine Kombination aus dem Mineral Zink und dem Bestandteil der Baldrianwurzel, Isovaleriansäure. Auch diesem Stoff werden beruhigende und entspannende Eigenschaften nachgesagt. In D4 ist er stärker verdünnt als D2, aber deutlich weniger als Coffea D12.
Alle vier Substanzen sind also in homöopathischen Potenzen enthalten, wobei zwei (Passiflora und Avena) in eher niedrigen Potenzen (D2), die anderen beiden (Coffea und Zincum) in höheren Potenzen vorliegen. Aus pharmazeutischer Sicht bedeutet das: Der Wirkstoffgehalt in Neurexan ist extrem gering, in manchen Fällen sogar unterhalb der Nachweisgrenze. Die Konzentration reicht nicht aus, um eine pharmakologische Wirkung im Sinne klassischer Arzneimittelkunde zu entfalten.
Der Gedanke hinter dieser Kombination ist ein ganzheitlicher Ansatz: Beruhigung, Entspannung, Abbau innerer Spannungen und Förderung des Schlafs sollen gemeinsam unterstützt werden – durch mehrere Wirkstoffe, die laut homöopathischem Verständnis auf verschiedenen Ebenen des Körpers und der Psyche wirken. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass dieser Wirkmechanismus nicht wissenschaftlich gesichert ist. Die Wirkung ist nicht direkt messbar und beruht – wenn überhaupt – auf subjektivem Empfinden, Erwartungshaltung oder dem Placeboeffekt.
Neurexan enthält keine klassischen Beruhigungsmittel, keine chemisch wirksamen Substanzen in pharmakologisch relevanter Dosis und ist auch kein pflanzliches Arzneimittel im Sinne der Phytotherapie. Es nimmt damit eine Sonderrolle ein: zwischen naturheilkundlichem Image, homöopathischer Methodik und therapeutischer Selbsthilfe – mit vielen Fragezeichen, was seine tatsächliche Wirkung betrifft.
Homöopathie und wissenschaftliche Bewertung
Die Wirkweise homöopathischer Arzneimittel ist bis heute wissenschaftlich nicht belegt. Zwar berichten einige Menschen subjektiv von positiven Effekten – doch in Studien zeigt sich meist kein signifikanter Unterschied zur Einnahme eines Placebos. Das betrifft auch Kombinationsmittel wie Neurexan.
Ein wichtiger Punkt: Die in Neurexan enthaltenen Stoffe wären in höherer Dosierung durchaus interessant – etwa Passionsblume als pflanzliches Beruhigungsmittel. In den hier verwendeten homöopathischen Potenzen sind die Mengen jedoch so gering, dass sie mit bloßem Auge weder messbar noch nachweislich wirksam sind. Fachleute gehen daher davon aus, dass mögliche Effekte auf dem Placeboeffekt oder auf der unterstützenden Ritualisierung (Tabletteneinnahme, Erwartungshaltung) beruhen.
Was sagt die Studienlage?
Vereinzelt wurden kleinere Studien zu Neurexan durchgeführt, die meist eine gewisse Wirksamkeit bei Stressreduktion und Schlafverbesserung nahelegen. Diese Studien sind jedoch fast ausschließlich herstellerfinanziert oder zumindest industrienah und weisen methodische Schwächen auf:
- fehlende oder mangelhafte Verblindung
- kleine Teilnehmerzahlen
- kurze Studiendauer
- keine Vergleichsgruppen mit etablierten Medikamenten
Unabhängige Reviews oder systematische Metaanalysen zur Wirksamkeit fehlen bislang. Auch in medizinischen Leitlinien zur Behandlung von Angst, Unruhe oder Schlafstörungen wird Neurexan nicht als empfehlenswertes Präparat aufgeführt. Die Aussagekraft der bestehenden Studien ist daher begrenzt.
Wirkung oder Placeboeffekt?
Viele Anwender berichten, dass sie sich nach der Einnahme von Neurexan entspannter fühlen, besser schlafen oder innerlich ruhiger werden. Solche Rückmeldungen verdienen grundsätzlich Respekt, denn das subjektive Empfinden spielt gerade bei Stress, Anspannung und Schlaflosigkeit eine große Rolle. Doch die entscheidende Frage ist: Lässt sich dieser Effekt tatsächlich auf die Inhaltsstoffe zurückführen – oder handelt es sich um einen klassischen Placeboeffekt?
Der Placeboeffekt ist kein bloß eingebildetes Phänomen. Er ist gut untersucht, neurobiologisch messbar und kann reale Veränderungen im Gehirn und Körper bewirken. Vor allem bei Symptomen, die stark von der eigenen Wahrnehmung, der Erwartungshaltung und dem inneren Zustand abhängen – wie Schlafstörungen, Nervosität oder seelische Anspannung – kann ein Placebo erstaunlich wirksam sein. Es reicht oft schon, ein Mittel einzunehmen, dem man selbst Wirksamkeit zuschreibt, um sich spürbar besser zu fühlen.
Neurexan enthält homöopathische Potenzen – in Verdünnungen, die in der Regel keinen pharmakologischen Effekt mehr auslösen können. Das bedeutet: Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Substanzen selbst im Körper etwas bewirken, jedenfalls nicht im Sinne klassischer Arzneimittelwirkungen. Wenn dennoch eine Verbesserung eintritt, liegt der Gedanke nahe, dass die Wirkung auf anderen Ebenen entsteht – etwa durch die beruhigende Erwartung, durch Rituale (z. B. abends bewusst eine Tablette nehmen) oder durch das Gefühl, aktiv etwas gegen die eigene Unruhe zu tun.
Solche Effekte sind keineswegs „nichts“. Sie zeigen, wie stark Psyche und Körper miteinander verbunden sind. Doch sie sind eben keine spezifische Wirkung des Präparats – sondern eine Reaktion auf den Kontext, in dem es eingenommen wird. Wer sich dessen bewusst ist, kann Neurexan gezielt nutzen, ohne sich falsche Hoffnungen zu machen.
Problematisch wird es nur, wenn Menschen glauben, ein medizinisch wirksames Mittel einzunehmen, obwohl es sich tatsächlich um ein Placebo handelt. Oder wenn sie aufgrund eines subjektiv empfundenen Nutzens auf eine ärztlich notwendige Behandlung verzichten. In solchen Fällen kann der Placeboeffekt sogar riskant werden – etwa wenn er echte Warnsignale überdeckt oder die Ursachen einer ernsthaften Erkrankung nicht angegangen werden.
Zusammengefasst: Neurexan kann beruhigend wirken – nicht weil es pharmakologisch aktiv wäre, sondern weil der Placeboeffekt bei Stress, Unruhe und Schlafstörungen sehr stark sein kann. Wer das Mittel in diesem Bewusstsein nutzt, kann es unter Umständen als Teil der eigenen Selbstfürsorge erleben. Wer jedoch gezielte Wirksamkeit erwartet, sollte sich kritisch mit der Studienlage und den enthaltenen Wirkstoffen auseinandersetzen.
Sicherheit und Verträglichkeit
Neurexan gilt als gut verträglich. Schwere Nebenwirkungen sind nicht bekannt – auch weil die enthaltenen Wirkstoffe so stark verdünnt sind, dass sie kaum aktiv eingreifen können. Allergische Reaktionen auf Hilfsstoffe oder sehr seltene Unverträglichkeiten sind jedoch möglich. Bei bestehenden Erkrankungen oder paralleler Einnahme von Medikamenten sollte man die Einnahme grundsätzlich mit einem Arzt oder Apotheker besprechen.
Fazit: Was du von Neurexan erwarten kannst – und was nicht
Neurexan ist ein homöopathisches Mittel mit sehr stark verdünnten pflanzlichen Wirkstoffen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen belastbaren Nachweis, dass es über den Placeboeffekt hinaus wirkt. Es kann als psychologisch unterstützendes Präparat genutzt werden – insbesondere, wenn du dir etwas zur Beruhigung wünschst und keine pharmakologisch wirksamen Medikamente einnehmen möchtest.
Du solltest jedoch keine Wunder erwarten und es nicht als Ersatz für eine ärztliche Abklärung oder Therapie verwenden, insbesondere bei anhaltenden Schlafstörungen, depressiver Verstimmung oder Angststörungen. Neurexan kann ein Teil deiner persönlichen Selbstfürsorge sein – aber kein Ersatz für medizinische Wirklichkeit.