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Stellen Sie sich vor, Sie oder ein geliebter Mensch erhalten die Diagnose „schwarzer Hautkrebs“ – medizinisch als malignes Melanom bezeichnet. Diese Krebsart, die häufig von der Haut ausgeht, kann sich rasch ausbreiten und Metastasen in Organen wie Lunge, Leber oder Gehirn bilden. Für Betroffene bedeutet diese Nachricht oft einen Schock: Angst, Unsicherheit und die quälende Frage „Wie geht es jetzt weiter?“ bestimmen plötzlich den Alltag.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Medizin große Fortschritte erzielt. Therapien wie Immuncheckpoint-Inhibitoren – Medikamente, die das Immunsystem „entsperren“ – oder zielgerichtete Behandlungen gegen bestimmte Genmutationen konnten das Überleben vieler Patienten erheblich verlängern. Dennoch gibt es Erkrankte, bei denen diese Therapien nicht wirken oder im Verlauf ihre Wirksamkeit verlieren. Resistenzen entstehen, und plötzlich scheinen die Möglichkeiten erschöpft.

Genau hier eröffnet sich ein neuer Hoffnungsschimmer: die adoptive Zelltherapie mit tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TILs). Diese innovative Behandlungsform nutzt die körpereigenen Abwehrzellen, um den Krebs gezielt anzugreifen. Sie gilt nicht nur als wissenschaftlicher Durchbruch, sondern schenkt Betroffenen und ihren Familien reale Chancen auf mehr Lebenszeit und bessere Lebensqualität.

Was sind tumorinfiltrierende Lymphozyten (TILs)?

Unser Immunsystem ist ein Wunderwerk: Es erkennt fremde Eindringlinge wie Viren oder Bakterien und bekämpft sie. Grundsätzlich kann es auch Krebszellen aufspüren und angreifen. Eine Schlüsselrolle übernehmen dabei die tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TILs) – spezialisierte T-Zellen, die aktiv in das Tumorgewebe eindringen. Sie fungieren wie Späher, die den Tumor als Feind markieren und zu zerstören versuchen.

Gerade beim malignen Melanom lassen sich diese Zellen oft beobachten: Sie durchdringen das Tumorgewebe und beginnen den Angriff. Doch der Tumor weiß sich zu wehren. Er erschafft eine feindliche Mikroumgebung, die die Immunzellen erschöpft oder unterdrückt – beispielsweise durch hemmende Signale oder Sauerstoffmangel. Die TILs verlieren ihre Kraft, obwohl sie eigentlich hochspezialisiert sind und den Tumor genau kennen.

Hier setzt die TIL-Therapie an: Die Zellen werden aus dem Tumor entnommen, im Labor gestärkt und in großer Zahl zurückgegeben. So wird das Immunsystem gleichsam „aufgerüstet“. Für Patienten bedeutet das: Der eigene Körper wird zur Waffe gegen den Krebs – ohne auf fremde Substanzen angewiesen zu sein.

Wie läuft die TIL-Therapie ab?

Die TIL-Therapie ist ein hochindividueller Prozess, der in spezialisierten Zentren durchgeführt wird und viel Teamarbeit erfordert. Die Schritte lassen sich folgendermaßen darstellen:

  1. Entnahme einer Tumorprobe
    Durch eine Operation oder Biopsie wird Tumorgewebe entnommen. Darin befinden sich die TILs, die bereits Kontakt mit den Krebszellen hatten.
  2. Isolierung und Vermehrung im Labor
    Die TILs werden herausgelöst und über mehrere Wochen mit Wachstumsfaktoren – etwa Interleukin-2 – vervielfältigt. Aus Millionen entstehen Milliarden hochaktiver Zellen.
  3. Vorbereitung des Patienten
    Vor der Rückgabe der Zellen wird das körpereigene Immunsystem kurzzeitig durch eine Chemotherapie (z. B. Cyclophosphamid, Fludarabin) geschwächt. Das schafft Platz für die neuen TILs.
  4. Reinfusion
    Die vermehrten Zellen werden dem Patienten über die Vene zurückgegeben, häufig begleitet von Interleukin-2. Typische Nebenwirkungen wie Fieber oder Schüttelfrost zeigen, dass das Immunsystem anspringt.

Der gesamte Prozess dauert sechs bis acht Wochen. Trotz der Belastung berichten viele Patienten, dass die Hoffnung auf Wirkung die Strapazen rechtfertigt.

Erste und aktuelle Studienergebnisse

Die TIL-Therapie geht auf Pionierarbeiten von Steven Rosenberg und Nicholas Restifo (2015) zurück. In ihren Studien am US-amerikanischen National Cancer Institute zeigten über 30 % der Patienten mit therapieresistentem Melanom deutliche Tumorrückbildungen – ein bahnbrechendes Ergebnis.

Spätere Untersuchungen, etwa die von Amod Sarnaik (2021), bestätigten diese Resultate: Selbst Patienten, die auf Immuncheckpoint-Inhibitoren nicht mehr ansprachen, profitierten von TILs.

Inzwischen hat die Therapie einen großen Schritt gemacht. Das Präparat Lifileucel (Handelsname Amtagvi) erhielt die Zulassung der FDA und demonstrierte in Langzeitdaten (ASCO 2025) beeindruckende Ergebnisse: Bei 153 Patienten mit metastasiertem Melanom konnten dauerhafte Remissionen erzielt werden. Berührend sind Berichte wie die einer Mutter aus Colorado, die durch TIL-Therapie überlebte und nun ihre Kinder aufwachsen sieht.

Aktuelle Studien wie TILVANCE-301 prüfen zudem Kombinationen mit anderen Immuntherapien und weiten den Einsatz auf weitere Krebsarten aus. Die Ansprechraten liegen zwischen 20 und 40 % – ein echter Fortschritt für austherapierte Patienten.

Chancen und Grenzen

Chancen

  • Hohe Spezifität: TILs greifen den Tumor gezielt an.
  • Langfristige Wirkung: Viele Responder erleben dauerhafte Remissionen.
  • Wirksam auch bei resistenten Tumoren.
  • Persönlicher Bezug: Der Einsatz eigener Zellen vermittelt Kontrolle und Selbstbestimmung.

Grenzen

  • Der Prozess ist komplex, zeit- und kostenintensiv.
  • Nicht jeder Patient verfügt über ausreichend geeignete TILs.
  • Nebenwirkungen – insbesondere durch Interleukin-2 – können stark sein.
  • In vielen Ländern bislang nur in Studien verfügbar.

Nebenwirkungen im Detail

Die lymphodepletierende Chemotherapie kann vorübergehende Blutbildveränderungen, Müdigkeit oder Haarausfall verursachen. Interleukin-2 wiederum kann systemische Effekte hervorrufen: Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfälle, Flüssigkeitsansammlungen in Lunge und Gewebe (Kapillarlecksyndrom). Oft kommt es zu Gewichtsverlust und der Notwendigkeit intensiver Überwachung.

Trotzdem gilt: Mit engmaschiger Betreuung sind diese Risiken in den meisten Fällen gut zu kontrollieren.

Bedeutung der Zellqualität

Der Therapieerfolg hängt wesentlich von der Qualität und Quantität der entnommenen TILs ab. Tumore mit hoher Mutationslast ziehen mehr TILs an, was die Chancen verbessert. Besonders junge, „stammzellartige“ TILs korrelieren mit höheren Ansprechraten. Deshalb prüfen Ärzte vor Beginn sorgfältig, ob die Voraussetzungen erfüllt sind.

Kosten und Verfügbarkeit

Die Therapie ist aufwendig und teuer. In den USA belaufen sich die Kosten auf etwa 515.000 US-Dollar. In Europa ist sie aktuell überwiegend im Rahmen klinischer Studien verfügbar, zunehmend jedoch auch mit Zulassungen, etwa in Deutschland oder den Niederlanden. Eine enge Abstimmung mit Krankenkassen und Patientenorganisationen ist notwendig, um finanzielle Hürden zu überwinden.

Vergleich mit anderen Zelltherapien

Im Gegensatz zur CAR-T-Zell-Therapie, die genetisch veränderte T-Zellen aus dem Blut nutzt (v. a. bei Blutkrebs), stammen TILs direkt aus dem Tumor und sind dort bereits „geschult“. Sie sind besonders für solide Tumoren geeignet. Nebenwirkungen sind meist weniger schwerwiegend, doch auch CAR-T wird beim Melanom erprobt und könnte künftig ergänzend eingesetzt werden.

Ausblick – wohin führt die Reise?

Die TIL-Therapie hat sich von einem experimentellen Ansatz zu einer etablierten Behandlungsoption entwickelt. Forscher arbeiten daran, die aufwendige Zellvermehrung zu beschleunigen und die Therapie durch Kombinationen mit Checkpoint-Inhibitoren, bispezifischen Antikörpern oder onkolytischen Viren noch wirksamer und verträglicher zu machen.

Für Patienten und Angehörige bedeutet dies: Fragen Sie Ihren Onkologen gezielt nach TIL-Therapie, insbesondere wenn Standardbehandlungen ausgeschöpft sind. Sie könnte der Schlüssel zu mehr Lebenszeit sein. Die Krebsmedizin bewegt sich zunehmend in Richtung personalisierter Therapien – und TILs markieren auf diesem Weg einen Meilenstein.

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