Navigations-Button: Hamburger-Menü
Symbol für die Suche
Drei Frauen, eine davon gemalt, in verschiedenen Lebenssituationen mit Fibromyalgie. Symbolisieren, dass das Leben weit ist

Die stille Verletzung durch Unverständnis!

Es gibt eine Szene, die sich bei sehr vielen Menschen mit Fibromyalgie erschreckend ähnlich abspielt. Man sammelt Kraft für einen Termin, den man eigentlich schon gar nicht mehr wahrnehmen will. Man hat wieder schlecht geschlafen, wieder diesen dumpfen Ganzkörperschmerz, wieder dieses Gefühl, dass man heute eigentlich nur im warmen Raum sitzen und niemanden sehen möchte. Trotzdem geht man los.

Schwarze Silhouette einer nachdenklich sitzenden Frau vor Farbverlauf in Blau, Magenta, Rot, Orange und Gelb mit dem Text: Fibromyalgie – wenn man dich in die Psycho-Ecke stellt
Fibromyalgie – der Schmerz ist real, aber das Unverständnis verletzt tiefer.

Man setzt sich ins Wartezimmer, man hat vielleicht sogar Notizen dabei, man möchte alles möglichst sachlich erklären, damit es „glaubwürdig“ wirkt. Man spricht ruhig, man beschreibt die Schmerzen, die Müdigkeit, die Konzentrationsprobleme, den schlechten Schlaf, die Überempfindlichkeit gegenüber Berührung. Man hofft innerlich: Jetzt ist da endlich jemand, der sagt: „Ja, das kenne ich. Das kann Fibromyalgie sein. Das ist eine reale Erkrankung.“

Und dann kommt stattdessen ein Satz wie: „Das kann auch psychisch bedingt sein.“ Oder: „Sie stehen bestimmt sehr unter Stress.“ Oder noch entwaffnender: „Ihre Werte sind alle in Ordnung, da sollten Sie sich nicht so viele Sorgen machen.“ Für Außenstehende mag das harmlos klingen. Für jemanden, der seit Monaten oder Jahren mit unsichtbaren Schmerzen lebt, ist das ein Schlag in die Identität. Denn es bedeutet plötzlich nicht mehr: „Du bist krank und wir finden die Ursache“, sondern: „Vielleicht stimmt an deiner Wahrnehmung etwas nicht.“ Genau das macht diesen Moment so verletzend. Er stellt nicht nur die Symptome infrage, sondern den Menschen, der sie beschreibt.

Fibromyalgie ist eine Erkrankung, die sehr viel vom Betroffenen verlangt, bevor sie überhaupt ernst genommen wird. Man muss immer wieder erzählen, wie es einem geht. Man muss immer wieder erklären, dass man nicht „nur müde“ ist, sondern dass es eine bleierne Erschöpfung ist, die den Körper wie ein nasses Tuch nach unten zieht. Man muss immer wieder sagen, dass es kein „normaler Muskelkater“ ist, sondern ein brennendes, wanderndes, manchmal stechendes Schmerzgefühl, das scheinbar ohne Anlass kommt. Und man muss immer wieder aushalten, dass die Umwelt – und leider auch die Medizin – auf eine unsichtbare Krankheit mit sichtbarem Zweifel reagiert.

Unsichtbarer Schmerz in einer sichtbaren Medizin

Ein zentraler Grund für diese Verletzung liegt in der Art, wie moderne Medizin funktioniert. Sie ist stark bild- und zahlenbasiert. Finden wir auf dem Röntgen nichts, ist da oft „nichts“. Sind Entzündungswerte normal, ist da oft „nichts“. Zeigt das MRT keine klare Strukturveränderung, ist da oft „nichts“. Für viele Erkrankungen ist das auch sinnvoll, weil sie tatsächlich an Strukturen festgemacht werden können. Fibromyalgie entzieht sich diesem Muster. Sie spielt nicht in der Ebene von Knochen, Knorpeln, Sehnen und eindeutigen Laborwerten. Sie spielt im Nervensystem, in der Reizverarbeitung, im schmerzverarbeitenden Teil des Gehirns. Das bedeutet: Der Schmerz ist echt, aber nicht sichtbar.

Genau hier entsteht der Konflikt. Denn wenn etwas nicht sichtbar ist, fällt es manchen Ärzten leichter, es in den Bereich „Psyche“ zu verschieben. Nicht immer böse gemeint, manchmal aus Hilflosigkeit, oft aus Zeitdruck. Aber für den Menschen, der da sitzt, macht das keinen Unterschied. Er hört: „Das ist psychisch.“ Und er versteht: „Du übertreibst. Du kannst es steuern. Du könntest anders, wenn du wolltest.“ Das ist die eigentliche Verletzung. Denn sie verschiebt die Verantwortung vom medizinischen System weg auf die kranke Person. Plötzlich ist nicht mehr die Krankheit schwierig, sondern der Mensch.

Dabei wissen wir heute, dass Fibromyalgie eine Überempfindlichkeit der Schmerzverarbeitung ist. Reize, die bei gesunden Menschen kaum registriert werden, lösen bei Betroffenen Schmerz aus. Das Nervensystem steht sozusagen lauter gestellt. Das hat nichts mit Einbildung zu tun, sondern mit einer anderen Einstellung des Körpers. Manche Forschungen sprechen von einem „zentralen Sensitivierungssyndrom“. Das klingt kompliziert, bedeutet aber nur: Das System, das Reize filtert, ist überempfindlich geworden. Wer so ein System hat, ist nicht „psychisch labil“. Er hat einen Körper, der Schmerz anders verarbeitet. Punkt.

Die zweite Wunde: Wenn Zweifel nach innen wandern

Etwas sehr Gefährliches passiert, wenn man immer wieder hört, dass die Ursache der Beschwerden vermutlich „in der Psyche“ liegt. Am Anfang zweifelt man an den Ärzten. Man denkt: „Die kennen sich nicht aus.“ Oder: „Die haben einfach keine Zeit.“ Das ist völlig legitim. Wenn man aber mehrere solcher Erfahrungen macht, passiert etwas anderes. Der Zweifel, der von außen kam, beginnt nach innen zu wandern. Man beginnt, die Sätze anderer zu wiederholen. „Vielleicht bin ich wirklich zu empfindlich.“ – „Vielleicht muss ich mich nur ablenken.“ – „Vielleicht will mein Körper mir nur etwas sagen.“

Das Problem dabei ist, dass diese Sätze oft nicht helfen, sondern Schuldgefühle verstärken. Denn wenn alles „nur psychisch“ wäre, dann müsste man es ja ändern können. Dann müsste man „positiver denken“, „mehr loslassen“, „endlich an sich arbeiten“. Wenn die Beschwerden aber bleiben – und bei Fibromyalgie bleiben sie oft, selbst wenn man sehr bewusst und gesund lebt –, entsteht das Gefühl, versagt zu haben. Dann sitzt man nicht mehr nur mit Schmerzen da, sondern auch mit dem Gefühl, nicht gut genug gegen sie gekämpft zu haben. Das ist eine doppelte Belastung.

Aus diesem Grund ist es so wichtig zu sagen: Ja, die Psyche spielt mit. Aber nicht als Ursache, sondern als Mitbetroffene. Wer jahrelang Schmerzen hat, wird seelisch müde. Wer immer wieder abgewiesen wird, wird misstrauisch. Wer ständig erklären muss, wird verletzt. Diese seelischen Folgen sind nicht der Beweis, dass alles „psychisch“ ist. Sie sind die ganz normale Reaktion eines Menschen auf anhaltendes Leid und mangelndes Verständnis.

Die soziale Ermüdung: wenn man irgendwann nichts mehr erzählen mag

Nach ein paar solcher Erlebnisse verändert sich auch das Verhältnis zu anderen Menschen. Viele Betroffene sagen: „Ich erzähle gar nicht mehr, wie es mir geht, die glauben es ja doch nicht.“ Man beobachtet sich dabei, wie man in Gesprächen Dinge weglässt. Man sagt nicht mehr: „Ich konnte letzte Nacht kaum schlafen vor Schmerzen“, sondern sagt: „War etwas unruhig.“ Man sagt nicht: „Ich kann heute nicht lange sitzen, mein ganzer Rücken brennt“, sondern sagt: „Ich bin heute etwas langsamer.“ Man passt seine Worte an, um nicht wieder in Diskussionen zu geraten.

Dieser Mechanismus schützt nach außen, kostet aber nach innen. Denn wenn man weniger erzählt, wird man weniger verstanden. Und wenn man weniger verstanden wird, wird man weniger unterstützt. So entsteht aus einer körperlichen Erkrankung schleichend Einsamkeit. Nicht, weil man keine Menschen hätte. Sondern weil man sich nicht ständig rechtfertigen will. Viele Betroffene sagen darum Sätze wie: „Ich wäre viel stabiler, wenn ich mich nicht dauernd rechtfertigen müsste.“ Und genau das ist der Punkt: Das Rechtfertigen ist oft anstrengender als der Schmerz.

Warum der Satz „Gehen Sie mal zum Psychologen“ so unterschiedlich wirken kann

Es gibt einen großen Unterschied zwischen „das ist psychisch“ und „das, was Sie erleben, ist sehr belastend, darüber können Sie mit einer psychologischen Fachkraft gut sprechen“. Der erste Satz entwertet. Er sagt: „Das ist nicht körperlich.“ Der zweite Satz anerkennt. Er sagt: „Das ist körperlich so schwer, dass die Seele Hilfe gebrauchen kann.“

Viele Menschen mit Fibromyalgie würden psychologische Unterstützung gut annehmen, wenn sie nicht den bitteren Beigeschmack von „Einbildung“ hätte. Denn wer jahrelang Schmerzen hat, Schlafstörungen, innere Unruhe, soziale Missverständnisse, Jobprobleme, finanzielle Sorgen wegen Arbeitsausfällen, der trägt tatsächlich eine seelische Last. Diese Last darf behandelt werden, ohne dass man die körperliche Erkrankung abschafft. Es ist vollkommen legitim, zu sagen: „Mein Körper macht etwas sehr Anstrengendes – ich hole mir dafür Unterstützung.“ Das ist Stärke, nicht Schwäche.

Problematisch wird es, wenn Psychotherapie statt Diagnose gesetzt wird. Wenn also nicht gesagt wird: „Sie haben Fibromyalgie, lassen Sie uns medizinisch und psychologisch arbeiten“, sondern: „Wir finden nichts, daher Therapie.“ Dann fühlt es sich an wie Abschieben. Und genau das ist es in vielen Fällen auch. Nicht, weil Psychotherapie falsch wäre, sondern weil sie an die Stelle einer fehlenden körperlichen Anerkennung gesetzt wird. Menschen mit Fibromyalgie brauchen aber beides: eine medizinische Anerkennung und die Möglichkeit, ihre seelischen Wunden zu versorgen.

Was hilft, um aus dieser Ecke wieder herauszukommen

Der erste und wichtigste Schritt ist, das innere Wissen wieder lauter zu drehen. Du weißt, dass du Beschwerden hast. Du weißt, dass du sie dir nicht ausgesucht hast. Du weißt, dass du dir sehr wahrscheinlich nichts einbildest – denn Menschen, die sich etwas einbilden wollen, machen nicht jahrelang dieselben Untersuchungen und schleppen Befunde von Praxis zu Praxis. Dieses innere Wissen darf wieder Gewicht bekommen. Es ist in Ordnung zu sagen: „Ich kenne meinen Körper, das ist nicht nur Stress.“

Der zweite Schritt ist, gezielt nach Ärztinnen und Ärzten zu suchen, die Erfahrung mit Fibromyalgie oder chronischen Schmerzen haben. Es gibt sie. Nicht überall, nicht in jeder Kleinstadt, aber es gibt sie. Schmerzmediziner, manche Rheumatologen, internistische Hausärzte mit Schwerpunkt, spezialisierte Zentren. Dort wird die Erkrankung nicht wegrationalisiert. Dort wird erklärt, dass die Schmerzwahrnehmung verändert ist. Dass Bewegung zwar wichtig ist, aber nicht jedes Mal möglich. Dass Schlafstörungen Teil des Krankheitsbildes sind. Dass Stress verstärken kann, aber nicht Ursache ist. Dieses „wir wissen, dass das echt ist“ ist für viele der Beginn einer echten Entlastung.

Der dritte Schritt kann sein, sich mit anderen Betroffenen zu verbinden. Nicht, um sich gegenseitig zu bemitleiden, sondern um die eigene Wahrnehmung wieder zu erden. In solchen Gruppen merkt man sehr schnell: „Ich bin nicht empfindlich. Ich bin nicht dramatisch. Ich bin einfach krank.“ Man hört eigene Geschichten aus anderen Mündern und spürt: Das ist ein Muster, keine persönliche Schwäche. Das nimmt Schuld und Scham – und genau das fehlt vielen, die in die Psycho-Ecke gestellt wurden.

Die komplexe Wahrheit: Körper und Seele – nicht Körper oder Seele

Die Wahrheit über Fibromyalgie ist nicht schwarz-weiß. Es ist nicht „rein körperlich“ und es ist nicht „nur psychisch“. Es ist eine Erkrankung, in der das Nervensystem anders reagiert und in der die Seele sehr schnell mitleidet, weil der Alltag anstrengend, die Umwelt zweifelnd und die Medizin oft unbeholfen ist. Wer sagt „das ist nur psychisch“, macht es sich zu einfach. Wer sagt „das ist nur körperlich“, übersieht die seelischen Folgen. Richtig ist: Es ist körperlich real und seelisch belastend. Beides gleichzeitig. Und beides darf behandelt werden.

Du darfst dir daher einen Satz merken, der in solchen Situationen hilft: „Dass es mir seelisch nahegeht, heißt nicht, dass es nicht körperlich ist.“ Dieser Satz holt deine Würde zurück. Er macht klar: Du reagierst menschlich auf eine unmenschlich zermürbende Situation. Das ist keine Schwäche. Das ist die gesunde Reaktion eines verletzbaren Menschen.

Und noch etwas darf gesagt werden: Es ist völlig in Ordnung, wütend zu sein auf das Gesundheitssystem, auf Ärzte, auf die eigene Geschichte damit. Diese Wut zeigt, dass dir dein Erleben wichtig ist. Sie zeigt, dass du ernst genommen werden willst. Sie zeigt, dass du deine Realität nicht kampflos abgeben willst. Aus dieser Wut kann eine sehr gesunde Haltung entstehen: „Ich lasse mir meinen Schmerz nicht wegdefinieren.“

Wenn du all das kennst – die Zweifler, die Sprüche, die Abwertungen, den Versuch, dich in eine Schublade zu stecken –, dann liegt der Fehler nicht bei dir. Fibromyalgie ist eine reale, komplexe, oft unsichtbare Erkrankung. Dein Schmerz ist echt. Deine Müdigkeit ist echt. Deine Erschöpfung durch fehlendes Verständnis ist echt. Und du hast das Recht, dass man dich sieht – nicht als „Psycho-Fall“, sondern als Mensch, der seit langem mehr aushält, als viele überhaupt wissen.

Meist gelesen

Müdigkeit und Schlafstörungen bei Fibromyalgie

Fatigue bei Fibromyalgie: Die unsichtbare Last der ständigen Erschöpfung
Fibromyalgie ist eine komplexe chronische Erkrankung, die vor allem durch weit verbreitete Schmerzen und Empfindlichkeit gekennzeichnet ist. Doch die Symptome gehen oft weit über die körperlichen Beschwerden hinaus. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter einer tiefgreifenden Erschöpfung und anhaltenden Müdigkeit – auch bekannt als Fatigue. Diese unsichtbare Belastung kann das tägliche Leben massiv beeinflussen, auch wenn sie für Außenstehende häufig schwer nachvollziehbar ist. Das Erklären dieser tiefen Erschöpfung stellt für Betroffene eine besondere Herausforderung dar, da Fatigue nicht sichtbar ist und sich kaum in Worte fassen lässt. Für das Umfeld bleibt das wahre Ausmaß dieser Belastung daher oft unsichtbar.

Weiterlesen …

Weit verbreitete Schmerzen und erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei Fibromyalgie

Das charakteristischste Merkmal der Fibromyalgie sind weit verbreitete Schmerzen im gesamten Körper, die in ihrer Intensität und ihrem Charakter variieren können. Diese Schmerzen werden oft als tief, pochend oder brennend beschrieben und betreffen häufig Muskeln, Bänder und Sehnen.

Anders als Schmerzen, die auf eine spezifische Verletzung oder Entzündung zurückzuführen sind, scheinen die Schmerzen bei Fibromyalgie ohne erkennbaren Grund aufzutreten und können sich in ihrer Intensität und Lokalisation verändern. Diese Variabilität macht es für Betroffene und Ärzte gleichermaßen schwierig, ein klares Muster zu erkennen und eine konsistente Behandlungsstrategie zu entwickeln.

Weiterlesen …

Wir erklären Ihnen

 

Visite-Medizin auf WhatsA

Visite-Medizin: Sie haben Fragen? Wir antworten!

Aktuelle Studien zu Morbus Crohn

heilpflanzenbild: Heilpflanzen bei Fibromyalgie

Leben mit Fibromyalgie

 

 
×
 
Top