Die Nachricht, dass sich Lungenmetastasen gebildet haben, verändert alles. Für viele Menschen ist sie mit der Angst verbunden, dass die Krankheit wiederkehrt oder sich weiter ausbreitet. Doch sie bedeutet nicht zwangsläufig das Ende aller Möglichkeiten. In manchen Fällen kann eine gezielte Operation die Situation deutlich verbessern – manchmal sogar für viele Jahre. Der Gedanke, dass Metastasen operativ entfernt werden können, weckt Hoffnung, vor allem dann, wenn der Krebs lange unter Kontrolle war. Aber wann ist ein solcher Eingriff wirklich sinnvoll? Und woran erkennt man, ob man zu denjenigen gehört, die davon profitieren können?
Die Antwort darauf ist komplex, denn eine Operation bei Lungenmetastasen ist kein Routineeingriff, sondern eine hochindividuelle Entscheidung. Sie hängt von vielen Faktoren ab: der Art des ursprünglichen Tumors, der Anzahl und Lage der Metastasen, ihrer Größe, der Lungenfunktion und vor allem vom allgemeinen Gesundheitszustand. Doch bevor Ärztinnen und Ärzte überhaupt über eine Operation nachdenken, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein – sie bilden das Fundament jeder Entscheidung.
Warum überhaupt operieren?
Lungenmetastasen entstehen, wenn Zellen eines ursprünglichen Tumors über die Blutbahn oder Lymphwege in die Lunge gelangen und sich dort ansiedeln. Die Lunge ist durch ihre hohe Durchblutung ein besonders häufiger Ort für solche Absiedlungen. Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um Lungenkrebs, sondern um Zellen des ursprünglichen Tumors – beispielsweise aus dem Darm, der Niere, der Brust oder der Gebärmutter. Diese Metastasen können, wenn sie begrenzt bleiben, chirurgisch entfernt werden. Das Ziel ist nicht nur, die sichtbaren Herde zu beseitigen, sondern auch die Tumorlast im Körper zu reduzieren. Manchmal gelingt es dadurch, die Krankheit über viele Jahre stabil zu halten oder sogar langfristig zu beseitigen.
Die Voraussetzungen – wann eine Operation wirklich sinnvoll ist
Die Entscheidung, Lungenmetastasen zu operieren, wird niemals leichtfertig getroffen. Sie erfordert eine genaue Abwägung zwischen Nutzen und Risiko. Nur wenn die Chancen auf einen echten Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität überwiegen, wird eine Operation empfohlen. Die folgenden Voraussetzungen gelten als zentrale Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Operation sinnvoll und medizinisch vertretbar ist.
1. Der Primärtumor ist kontrolliert oder beseitigt
Das ist die wichtigste Grundvoraussetzung. Eine Operation der Lunge ist nur dann sinnvoll, wenn der ursprüngliche Tumor – also der Ort, von dem der Krebs ausgegangen ist – entweder vollständig entfernt oder durch Therapie stabilisiert ist. Wenn der Primärtumor weiterhin aktiv wächst oder neue Metastasen aussendet, hätte eine Operation der Lunge kaum einen dauerhaften Nutzen, weil sich neue Absiedlungen schnell wieder bilden könnten. Daher prüfen Ärztinnen und Ärzte vor jeder geplanten Operation genau, ob der Primärtumor „inaktiv“ ist – also kein Fortschreiten zeigt. Dies geschieht durch bildgebende Verfahren wie CT, MRT oder PET-CT sowie durch Laborwerte und klinische Kontrollen.
Beispiel: Bei einem Patienten mit Darmkrebs, der erfolgreich operiert wurde und dessen Nachuntersuchungen keine Rückfälle zeigen, könnten Lungenmetastasen operiert werden, sofern sie begrenzt und technisch zugänglich sind. Wenn jedoch gleichzeitig ein aktiver Rückfall im Darm oder in der Leber vorliegt, würde man zuerst diese Herde behandeln, bevor über eine Lungenoperation nachgedacht wird.
2. Es dürfen keine anderen Organe betroffen sein
Eine Operation ist in der Regel nur sinnvoll, wenn die Lunge das einzige Organ mit Metastasen ist. Sind bereits Absiedlungen in anderen Organen wie Leber, Knochen oder Gehirn vorhanden, verliert die Operation an Bedeutung, weil die Erkrankung dann systemisch – also im ganzen Körper – aktiv ist. In solchen Fällen steht die medikamentöse Therapie im Vordergrund, etwa durch Immuntherapie, Chemotherapie oder gezielte Medikamente, die auf molekularer Ebene wirken.
Allerdings gibt es Ausnahmen. Wenn beispielsweise gleichzeitig Leber- und Lungenmetastasen vorliegen, diese aber jeweils in kleiner Zahl und operabel sind, kann ein kombiniertes Vorgehen sinnvoll sein. In solchen Fällen planen Chirurginnen und Chirurgen den Eingriff gemeinsam mit Onkologen und Radiologen – manchmal in mehreren Schritten, etwa zuerst die Entfernung der Leberherde, später die Lungenmetastasen. Diese Entscheidungen werden in sogenannten Tumorboards getroffen, in denen Spezialisten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam beraten.
3. Die Anzahl und Lage der Metastasen
Ein entscheidendes Kriterium für eine Operation ist die Zahl der Metastasen. Je weniger Herde vorhanden sind, desto besser ist die Prognose. Meist gilt: Wenn drei bis fünf Metastasen oder weniger in einer oder beiden Lungenflügeln gefunden werden, kann eine Operation erwogen werden. Diese Form wird als „oligometastatische Erkrankung“ bezeichnet – sie ist der Grenzbereich zwischen lokaler und systemischer Krebsausbreitung.
Neben der Zahl spielt auch die Lage eine Rolle. Metastasen, die an der Oberfläche der Lunge oder in Randbereichen liegen, können oft minimalinvasiv entfernt werden. Liegt eine Metastase jedoch in der Nähe großer Blutgefäße oder tief im Lungengewebe, ist die Operation anspruchsvoller und riskanter. Hier muss abgewogen werden, ob der Nutzen den Eingriff rechtfertigt oder ob andere Behandlungsformen – etwa eine hochpräzise Strahlentherapie – sicherer sind.
4. Die Größe der Metastasen
Auch die Größe spielt eine entscheidende Rolle. Kleine Metastasen von wenigen Millimetern sind technisch leichter zu entfernen und verursachen weniger Gewebeschaden. Große Metastasen dagegen können das umliegende Lungengewebe verdrängen oder in Bronchien und Gefäße einwachsen, was den Eingriff komplizierter macht. Manchmal müssen in solchen Fällen größere Teile eines Lungenlappens entfernt werden, um sicherzugehen, dass keine Tumorreste verbleiben. Die Operation muss daher so geplant werden, dass das Gleichgewicht zwischen vollständiger Tumorentfernung und Erhalt der Lungenfunktion gewahrt bleibt.
Größe bedeutet nicht automatisch Schwere: Eine kleine, aber schlecht zugängliche Metastase kann komplizierter zu entfernen sein als eine größere, die oberflächlich liegt. Deshalb wird jeder Fall individuell bewertet. Ziel ist immer eine sogenannte „R0-Resektion“ – also die vollständige Entfernung aller Krebszellen mit einem sicheren Rand aus gesundem Gewebe.
5. Die Lungenfunktion und der allgemeine Gesundheitszustand
Eine gute Lungenfunktion ist Voraussetzung für jede Operation in diesem Organ. Vor dem Eingriff wird die Atemleistung deshalb genau überprüft – mit sogenannten Lungenfunktionstests (Spirometrie, Bodyplethysmographie) und Blutgasanalysen. So lässt sich berechnen, wie viel funktionstüchtiges Lungengewebe nach der Operation verbleibt. Nur wenn genug Atemkapazität übrig bleibt, wird die Operation empfohlen.
Neben der Lungenfunktion wird auch der allgemeine Gesundheitszustand sorgfältig beurteilt: Herz-Kreislauf-System, Nierenfunktion, Ernährungszustand und körperliche Belastbarkeit. Ein Mensch mit guter Fitness und stabilen Organfunktionen hat bessere Chancen auf eine schnelle Erholung und geringeres Risiko für Komplikationen. Alter allein ist dabei kein Ausschlusskriterium. Auch ältere Menschen können erfolgreich operiert werden, wenn sie körperlich fit sind und die Voraussetzungen stimmen.
6. Psychische Stärke und Motivation
Was oft übersehen wird: Auch die seelische Verfassung spielt eine Rolle. Eine Operation an der Lunge ist körperlich fordernd und erfordert eine aktive Mitarbeit – vor allem bei der Atemtherapie danach. Wer gut informiert, mental stabil und motiviert ist, hat meist eine schnellere Genesung. Daher wird heute immer stärker darauf geachtet, dass Betroffene sich nicht überfordert fühlen, sondern die Entscheidung bewusst mittragen. Ein offenes Arzt-Patienten-Gespräch über Ängste, Erwartungen und persönliche Ziele ist dabei genauso wichtig wie die medizinischen Befunde.
Wie die Operation durchgeführt wird
Die meisten Eingriffe erfolgen heute minimalinvasiv – mit der sogenannten videoassistierten Thorakoskopie (VATS). Dabei werden durch kleine Schnitte im Brustkorb eine Kamera und feine Instrumente eingeführt. Der Chirurg kann die Metastasen gezielt herausschneiden, ohne den gesamten Brustkorb zu öffnen. Dieses Verfahren ist schonend, hinterlässt nur kleine Narben und ermöglicht eine raschere Erholung.
Bei größeren oder tief im Gewebe liegenden Metastasen kann jedoch eine klassische Operation (Thorakotomie) notwendig sein. Dabei wird der betroffene Teil der Lunge freigelegt, um die Metastasen vollständig zu entfernen. Das Ziel bleibt immer dasselbe: so viel krankes Gewebe wie nötig, aber so wenig gesundes Gewebe wie möglich zu entnehmen. Nach der Operation folgt eine feingewebliche Untersuchung, um sicherzustellen, dass keine Tumorreste zurückgeblieben sind.
Wenn eine Operation nicht sinnvoll ist
So präzise und erfolgreich moderne Chirurgie heute ist – sie hat ihre Grenzen. Wenn viele Metastasen gleichzeitig vorhanden sind oder sich neue Herde in anderen Organen gebildet haben, ist eine Operation nicht mehr zielführend. Auch bei stark eingeschränkter Lungenfunktion, fortgeschrittener Krankheit oder hohem Risiko für Komplikationen wird der Eingriff nicht empfohlen.
Stattdessen setzen Ärzte auf Alternativen wie stereotaktische Bestrahlung, Immuntherapie oder gezielte Medikamente. Diese können das Wachstum der Metastasen verlangsamen und die Lebensqualität erhalten – oft mit weniger Belastung für den Körper.
Fazit – eine Entscheidung, die auf vielen Ebenen berührt
Ob eine Operation bei Lungenmetastasen sinnvoll ist, hängt von vielen medizinischen und menschlichen Faktoren ab. Sie kann eine große Chance sein – aber nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind: ein kontrollierter Primärtumor, keine weiteren Metastasen, eine gute Lungenfunktion und eine stabile körperliche Verfassung. Ebenso wichtig ist die seelische Stärke, die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit und das Vertrauen in das Ärzteteam.
Eine Operation bedeutet Hoffnung – aber nicht um jeden Preis. Sie ist kein Automatismus, sondern das Ergebnis sorgfältiger Abwägung und ehrlicher Aufklärung. Und wenn alle Voraussetzungen stimmen, kann sie ein Wendepunkt sein: ein Schritt hin zu Stabilität, Lebensqualität und der Gewissheit, alles getan zu haben, was medizinisch möglich ist – mit Mut, Vertrauen und einem klaren Blick nach vorn.






