Bei Krebspatienten, die Fieber entwickeln und zugleich unter einer Neutropenie leiden, besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Neutropenie, also eine stark verminderte Anzahl weißer Blutkörperchen, führt dazu, dass das Immunsystem stark geschwächt ist. Dadurch kann selbst ein leichtes Fieber auf eine ernsthafte Infektion hinweisen. Um Patienten mit neutropenischem Fieber optimal zu behandeln, wird das Vorgehen je nach individuellem Risiko angepasst und folgt klaren medizinischen Leitlinien. Diese Leitlinien werden regelmäßig aktualisiert, zuletzt 2024 von der Arbeitsgemeinschaft Infektionen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (AGIHO).
Was ist eine febrile Neutropenie?
Unter einer „febrilen Neutropenie“ versteht man das gleichzeitige Auftreten von Fieber und einer Neutropenie. Diese Kombination ist besonders bedeutsam, weil sie ein Anzeichen für eine möglicherweise lebensbedrohliche Infektion sein kann. Menschen mit einer febrilen Neutropenie sind aufgrund einer geschwächten Immunabwehr anfälliger für Infektionen, die ohne diese Abwehrschwäche oft harmlos verlaufen würden.
Was bedeutet Neutropenie?
Neutropenie beschreibt eine Verringerung der Neutrophilen, einer spezifischen Art weißer Blutkörperchen. Neutrophile sind Teil des Immunsystems und spielen eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Infektionen. Sie sind gewissermaßen die „ersten Verteidigungslinien“, die schnell auf Erreger reagieren und diese direkt angreifen. Eine Neutropenie ist medizinisch definiert als eine Neutrophilenzahl, die unter 500 Zellen pro Mikroliter Blut liegt oder voraussichtlich in den nächsten zwei Tagen unter diesen Wert fallen wird. Diese kritische Grenze macht deutlich, dass das Immunsystem nicht mehr ausreichend verteidigungsfähig ist, was zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionen führt.
Ohne eine ausreichende Anzahl von Neutrophilen verliert das Immunsystem seine Fähigkeit, Erreger wie Bakterien oder Pilze wirksam zu bekämpfen. Dies kann das Risiko für Infektionen dramatisch erhöhen und erklärt, warum eine Neutropenie als ernster Zustand betrachtet wird. Wenn dann zusätzlich Fieber auftritt, weist dies oft darauf hin, dass bereits eine Infektion im Körper vorliegt, die das Immunsystem – aufgrund der niedrigen Neutrophilenzahl – nicht mehr unter Kontrolle halten kann.
Was bedeutet Fieber bei Neutropenie?
Bei Menschen mit Neutropenie gelten bereits leicht erhöhte Temperaturen als besorgniserregend, da Fieber ein klassisches Anzeichen für eine Infektion ist. Normalerweise zeigt das Immunsystem über das Fieber, dass es auf einen Erreger reagiert. Doch bei einer Neutropenie fehlt oft die angemessene Immunantwort, weshalb schon eine moderate Erhöhung der Körpertemperatur alarmierend sein kann. Fieber wird in diesem Fall durch eine oral gemessene Körpertemperatur von über 38,3 °C definiert. Auch eine Temperatur, die über mindestens eine Stunde konstant über 38,0 °C bleibt, oder zweimal innerhalb von zwölf Stunden auf über 38,0 °C steigt, gilt als Fieber.
Abgrenzung zu anderen Ursachen
Es ist entscheidend, dass das Fieber bei febriler Neutropenie nicht auf andere, nicht-infektiöse Ursachen zurückzuführen ist. In seltenen Fällen können etwa fieberhafte Reaktionen auf Bluttransfusionen oder allergische Reaktionen auf Medikamente das Fieber erklären. Diese möglichen Ursachen müssen durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ausgeschlossen werden, damit die Diagnose einer febrilen Neutropenie sicher gestellt werden kann.
Zusammengefasst stellt die febrile Neutropenie einen hochgefährlichen Zustand dar, der durch die Kombination einer schweren Immunschwäche und Fieber gekennzeichnet ist. Da das Immunsystem aufgrund der niedrigen Neutrophilenzahl nur eingeschränkt reagiert, ist das Risiko für Infektionen und die rasche Ausbreitung von Erregern stark erhöht.
Risikobewertung bei febriler Neutropenie
Bei Menschen mit bestimmten Krebserkrankungen, insbesondere akuter Leukämie, ist das Risiko, eine febrile Neutropenie zu entwickeln, besonders hoch. Patienten mit Leukämie durchlaufen oft intensive Chemotherapien, die ihr Immunsystem erheblich schwächen. Nach solchen Behandlungen leiden etwa 85 bis 95 Prozent dieser Menschen an febriler Neutropenie. Bei anderen Krebsarten, sogenannten soliden Tumoren (z. B. Brustkrebs oder Darmkrebs), liegt das Risiko etwas niedriger – hier entwickeln nur etwa 5 bis 20 Prozent der Patienten dieses gefährliche Fieber. Dennoch ist die febrile Neutropenie eine ernstzunehmende Bedrohung, die in jedem Fall eine sofortige medizinische Reaktion erfordert.
Wesentliche Faktoren der Risikobewertung
Der Verlauf einer febrilen Neutropenie hängt von verschiedenen Faktoren ab, die eine individuelle Risikoeinschätzung ermöglichen. Eine gründliche Risikobewertung hilft Ärzten, den passenden Therapieansatz zu wählen, da sie zeigt, welche Patienten ein höheres Risiko für schwerwiegende Infektionen haben.
- Dauer der Neutropenie: Je länger die Neutropenie – also die Phase der niedrigen Neutrophilenzahl – andauert, desto größer ist das Risiko, dass sich eine Infektion entwickelt. In dieser Zeit kann das Immunsystem nur eingeschränkt auf Krankheitserreger reagieren. Wenn die Neutropenie voraussichtlich länger als sieben Tage anhält, steigt das Infektionsrisiko erheblich, und die betroffenen Patienten gelten als Hochrisikopatienten.
- Remissionsstatus der Grunderkrankung: Der Zustand der Grunderkrankung – also, ob die Krebserkrankung in Remission (vorübergehend oder dauerhaft symptomfrei) ist oder nicht – spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle. Wenn die Erkrankung nicht in Remission ist, bleibt das Immunsystem zusätzlich belastet und geschwächt, was das Risiko für Infektionen erhöht.
- Klinischer Status und körperliche Verfassung: Der allgemeine körperliche Zustand des Patienten – also wie gesund und kräftig sich der Patient fühlt und wie belastbar sein Körper ist – beeinflusst ebenfalls das Risiko.
- Komorbiditäten: Komorbiditäten sind zusätzliche Erkrankungen, die neben der Krebserkrankung bestehen. Viele Tumorpatienten leiden an weiteren Gesundheitsproblemen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
- Compliance des Patienten: Compliance beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft des Patienten, die Anweisungen und Empfehlungen des Arztes gewissenhaft umzusetzen.
Patienten, bei denen die febrile Neutropenie voraussichtlich länger als sieben Tage bestehen wird, gelten in der Regel als Hochrisikopatienten, da ihr Immunsystem über einen längeren Zeitraum stark geschwächt ist. Auch wenn die Dauer der Neutropenie weniger als sieben Tage beträgt, aber zusätzliche Risikofaktoren wie Komorbiditäten bestehen, fällt der Patient in die Hochrisikokategorie. Diese Patienten müssen in der Regel stationär behandelt und intensiv überwacht werden, um mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Diagnostik und Behandlung: Was ist zu tun?
Das wichtigste Prinzip bei febriler Neutropenie lautet: schnell und gezielt handeln. Die Diagnose stützt sich auf eine gründliche körperliche Untersuchung und eine genaue Erhebung der Krankengeschichte. Ein umfassendes Basislabor und Blutkulturen, die Erreger im Blut identifizieren, helfen, eine gezielte Therapie einzuleiten.
Die Behandlung beginnt sofort mit einer Antibiotikatherapie, die speziell gegen die in der Klinik vorkommenden Keime wirkt. Da die Art der Keime von Klinik zu Klinik unterschiedlich sein kann, sollten Ärzte mit den spezifischen Bakterienarten ihres Krankenhauses vertraut sein. Die Antibiotikatherapie wird zunächst für 96 Stunden verabreicht. Anschließend wird der Zustand des Patienten erneut geprüft.
Ambulante Behandlungsmöglichkeiten: Wann kann eine Heimtherapie erfolgen?
Viele Krebspatienten bevorzugen es, in ihrem häuslichen Umfeld behandelt zu werden. Für Patienten mit niedrigem Risiko, die der Standardrisikogruppe angehören, kann dieser Wunsch unter bestimmten Bedingungen erfüllt werden. Der sogenannte MASCC-Score, ein Bewertungssystem der „Multinational Association of Supportive Care in Cancer“, hilft, das Risiko einer ambulanten Behandlung abzuschätzen.
Antibiotische Therapie: Effektivität vor Vielfalt
Wichtig bei der Auswahl der Antibiotika ist die Erkenntnis, dass nicht immer die breiteste oder stärkste Kombination die beste ist. In den meisten Fällen reicht eine gezielte Therapie aus, die sich an den typischen Keimen orientiert. Reserveantibiotika und breit gefächerte Antibiotikakombinationen sollten ausschließlich in besonderen Fällen verwendet werden, etwa wenn andere Therapien nicht wirken oder besondere Keime nachgewiesen wurden.
Fazit
Febrile Neutropenie ist ein ernstzunehmender Zustand, der bei Tumorpatienten sofortige und gezielte Maßnahmen erfordert. Die Therapie wird individuell an das jeweilige Risiko und die Bedürfnisse des Patienten angepasst. Durch ein schnelles Eingreifen, eine zielgerichtete Antibiotikatherapie und eine kontinuierliche Überwachung kann die Gefahr von schweren Infektionen erheblich reduziert werden.