Für viele Eltern ist das emotionale Wohlbefinden ihres Kindes das Allerwichtigste. Wenn sie entscheiden, Medikamente gegen ADHS auszuprobieren, ist eine der größten Sorgen, wie sich die Medikation auf die Gefühle und die Persönlichkeit des Kindes auswirkt. Wird das Kind emotional abgestumpft? Wird es weniger impulsiv, aber auch weniger lebensbejahend? Wird es sich vielleicht weniger „authentisch“ fühlen?
Diese Fragen sind völlig nachvollziehbar. Denn Medikamente, die ins Gehirn eingreifen, können nicht nur die Wahrnehmung von außen verändern, sondern auch die Wahrnehmung des Kindes über sich selbst. Eltern sorgen sich, dass die Medikamente zwar helfen, das Verhalten des Kindes zu kontrollieren, aber dabei seine emotionalen Ausbrüche und Spontaneität unterdrücken.
Was passiert mit den Emotionen bei ADHS?
Kinder mit ADHS erleben ihre Emotionen oft sehr intensiv und schnell. Sie können sehr impulsiv reagieren – wütend, traurig oder überdreht – und haben Schwierigkeiten, ihre starken Gefühle zu regulieren. Das liegt daran, dass die gleichen Botenstoffe, die für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle verantwortlich sind, auch eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Emotionen spielen.
Durch die Symptome von ADHS nehmen diese Kinder ihre Umwelt stärker und oft auch belastender wahr. Ein lautes Geräusch, eine unerwartete Veränderung im Alltag oder eine schnelle Reaktion von anderen können überwältigend wirken. Dies führt zu emotionalen Reaktionen, die sie selbst nicht immer steuern können.
Medikamente wie Methylphenidat (Ritalin) und Lisdexamfetamin (Elvanse) greifen genau an dieser Stelle ein, indem sie die Verfügbarkeit von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöhen. Diese Botenstoffe unterstützen nicht nur die Konzentration, sondern auch die emotionalen Reaktionen – indem sie sie stabilisieren und gezielt lenken.
Wie Medikamente die Emotionen beeinflussen können
ADHS-Medikamente können die emotionalen Reaktionen des Kindes auf zwei verschiedene Weisen beeinflussen: Sie helfen, die Überreizung zu mindern und die Impulsivität zu kontrollieren.
Minderung der Überreizung: Viele Kinder mit ADHS erleben ihre Umgebung als überfordernd. Sie werden von zu vielen Eindrücken überflutet und reagieren emotional, ohne die Kontrolle zu haben. Medikamente helfen, diese Reizflut zu bändigen. Das Kind fühlt sich nicht mehr so schnell „aufgedreht“ oder „überreizt“, sondern kann Reize gezielt filtern.
Kontrolle der Impulsivität: Kinder mit ADHS sind emotional sehr spontan. Sie können in einer Minute sehr fröhlich sein und im nächsten Moment wegen einer Kleinigkeit in Wut oder Traurigkeit verfallen. Medikamente helfen, diese schnelle Wechselhaftigkeit der Emotionen zu bremsen und das Kind stabiler in seinen Reaktionen zu machen. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Kind „gefühllos“ wird. Es hat einfach mehr Zeit, auf Situationen bedacht zu reagieren, anstatt impulsiv zu handeln.
Diese Veränderungen sind oft sehr positiv. Das Kind fühlt sich „weniger überwältigt“ und hat das Gefühl, mehr Kontrolle über seine eigenen Reaktionen zu haben.
Welche emotionalen Veränderungen sind normal?
Es ist wichtig, dass Eltern sich bewusst sind, dass Medikamente nicht dazu führen, dass das Kind seine Gefühle komplett „abstellt“. Die emotionale Wahrnehmung bleibt – es wird lediglich stabiler und kontrollierbarer. Einige Eltern berichten, dass ihre Kinder sich „weniger impulsiv“ oder „ruhiger im Kopf“ fühlen, wenn sie die Medikamente nehmen. Doch das bedeutet nicht, dass das Kind emotional „abgestumpft“ oder „gefühllos“ wird.
Im Gegenteil: Kinder können auch unter der Medikation sehr lebendig, kreativ und einfühlsam bleiben – nur eben weniger von äußeren Reizen und inneren Impulsen überfordert. Sie können ihre Emotionen gezielter einsetzen, ohne in Wut oder Frustration zu geraten.
Wenn es jedoch zu einer starken emotionalen Dämpfung kommt, etwa zu einem Rückzug oder einem verminderten Interesse an gewohnten Aktivitäten, kann das auf eine zu hohe Dosis oder das falsche Medikament hinweisen. In diesem Fall sollte unbedingt mit dem Arzt gesprochen und gegebenenfalls die Behandlung angepasst werden.
Was tun, wenn das Kind sich emotional verändert?
Eltern sollten darauf achten, ob die emotionale Veränderung ihres Kindes im Einklang mit der gewünschten Wirkung steht. Wenn das Kind nach Beginn der Medikation zwar ruhiger wird, aber auch das Interesse an Dingen verliert, die es früher begeisterten, ist es wichtig, dies mit dem Arzt zu besprechen. Eine zu hohe Dosis oder das falsche Medikament können dazu führen, dass das Kind sich „eingeschränkt“ oder „weniger lebendig“ fühlt.
Eltern sollten auch aufmerksam beobachten, wie sich das Kind fühlt und ob es verbal ausdrücken kann, was es erlebt. Es ist wichtig, dem Kind Raum zu geben, über seine Gefühle zu sprechen – auch wenn diese nicht immer leicht verständlich sind. Gemeinsam mit einem Therapeuten oder Psychologen können Eltern zudem Strategien entwickeln, wie sie das emotionale Wohlbefinden ihres Kindes zusätzlich unterstützen können.
Die Rolle der Eltern – wie sie das emotionale Wohl ihres Kindes fördern können
Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen für ihr Kind – nicht nur in Bezug auf die Medikation, sondern auch für das emotionale Wohlbefinden. Die medikamentöse Behandlung kann das Kind stabilisieren, aber sie ersetzt nicht die liebevolle Unterstützung und das Verständnis, das Eltern bieten können.
Eltern sollten dem Kind weiterhin ein sicheres Umfeld bieten, in dem es seine Emotionen ausdrücken darf. Auch nach der Behandlung sollte das Kind weiterhin die Möglichkeit haben, Fehler zu machen, sich selbst zu erleben und zu wachsen – ohne die Angst, zu „funktionieren“ oder „anders“ zu sein.
Die Verbindung von Medikation und emotionaler Unterstützung durch die Eltern ist der Schlüssel zu einem gesunden Umgang mit ADHS. Nur wenn das Kind sich sicher und verstanden fühlt, kann es die Vorteile der Medikamente in vollen Zügen nutzen.
Fazit: ADHS-Medikamente als Unterstützung – nicht als Lösung für alles
ADHS-Medikamente helfen dabei, die emotionale Reizbarkeit zu regulieren, Impulsivität zu bremsen und das Gefühl von Überwältigung zu mindern. Sie bieten eine wertvolle Unterstützung für Kinder, die mit ADHS leben. Aber sie ersetzen nicht die emotionale Begleitung durch Eltern oder eine therapeutische Unterstützung.
Eltern sollten sich bewusst sein, dass die Medikamente helfen, aber das Kind selbst weiterhin der wichtigste Akteur bleibt. Es geht darum, die richtigen Bedingungen zu schaffen, damit das Kind nicht nur „ruhigstellt“, sondern auch „aufblüht“ – in einem stabilen, liebevollen Umfeld, das seine individuellen Bedürfnisse versteht und unterstützt.