Fibromyalgie ist eine Erkrankung, die sich nicht nur im Körper festsetzt, sondern tief hineinreicht in deine Identität, deine Beziehungen und dein Selbstwertgefühl. Sie formt nicht nur Schmerzen, sie schafft Unsicherheit, Zweifel, Rückzug und eine Art stille Beschämung, die sich immer weiter verstärkt.
Was Fibromyalgie so zerstörerisch macht, ist nicht nur der körperliche Schmerz. Es ist der Teufelskreis, der entsteht, wenn du leidest, aber niemand wirklich versteht, wie schlecht es dir geht – und du irgendwann selbst nicht mehr weißt, wie du es noch erklären sollst.
Dieser Teufelskreis beginnt oft mit einem ganz einfachen Punkt: Deine Schmerzen sind real, heftig und allgegenwärtig, aber sie sind unsichtbar. Du kannst nicht auf eine Wunde zeigen, nicht auf einen Befund, nicht auf ein Bild, das erklärt, warum selbst ein guter Tag sich anfühlt wie der letzte Rest deiner Kraft. Es ist eine Erkrankung, die still arbeitet, leise zerstört und gleichzeitig so laut in deinem Inneren schreit, dass du selbst kaum zur Ruhe kommst.
Doch nach außen wirkt alles wie immer. Dein Gesicht hat keinen Ausdruck einer akuten Krankheit, dein Körper hat keine sichtbaren Schäden, dein Auftreten verrät nicht, wie sehr du kämpfst. Und genau deshalb beginnt der Teufelskreis: Du fühlst dich verpflichtet, immer wieder zu erklären, was niemand sehen kann. Mit jedem Versuch, deinen Zustand verständlich zu machen, wächst jedoch das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen – und genau daraus entsteht das erste Stück Scham.
Wie der Teufelskreis beginnt – und warum er so schwer zu durchbrechen ist
Der Teufelskreis der Fibromyalgie beginnt mit dem Wunsch, verstanden zu werden. Du möchtest, dass deine Umgebung begreift, warum du so erschöpft bist, warum du nicht so kannst wie andere, warum du Termine absagst oder Aktivitäten nicht schaffst. Du versuchst, Worte zu finden, die die Wucht deiner Schmerzen beschreiben, suchst Vergleiche, Erklärungen, Bilder. Doch so oft erreichen deine Worte die Menschen nicht so, wie du es brauchst.
Die Reaktionen sind häufig höflich, aber ungläubig. Es entsteht ein Abstand, den du nicht willst und nicht verdient hast. Manche Menschen hören dir zu, aber sie hören nicht wirklich hin. Andere wollen dich trösten, indem sie sagen, dass es bestimmt besser wird oder dass du dich mehr bewegen solltest. Wieder andere wechseln das Thema, weil sie nicht wissen, wie sie mit deiner Wahrheit umgehen sollen. Und darunter gibt es immer den einen Blick, der dich trifft wie ein Schlag: den Blick, der zweifelt.
Dieser Blick – egal wie kurz – kann ausreichen, um alles ins Wanken zu bringen. Denn er erzählt dir unbewusst: „Vielleicht übertreibst du wirklich.“ „Vielleicht ist es gar nicht so schlimm.“ „Vielleicht solltest du dich zusammenreißen.“ Diese Gedanken pflanzen sich ein, obwohl du sie nicht willst, und genau hier beginnt der Teufelskreis, der alles verschlimmert: Dein Schmerz bleibt real, aber dein Vertrauen darin, ernst genommen zu werden, bröckelt.
Der Druck, normal zu wirken – und die Erschöpfung danach
Sobald dieser Zweifel in dir sitzt, beginnt die nächste Phase des Teufelskreises. Du versuchst stärker denn je, nach außen normal zu wirken. Du willst nicht anstrengend sein, nicht kompliziert, nicht „die Kranke“. Du willst die Person bleiben, die du früher warst: belastbar, aktiv, zuverlässig, spontan.
Also spielst du Normalität. Du gehst trotz Schmerzen zur Arbeit. Du sagst zu Aktivitäten zu, die du eigentlich nicht schaffst. Du hältst dich wacher, als du bist, freundlicher, als du dich fühlst, und funktionierst auf einem Level, das dich innerlich zerreißt. Es ist dieser tägliche Kampf zwischen Körper und Willen, der so viel Kraft kostet.
Doch der Preis für dieses Funktionieren ist hoch. Kaum bist du allein, bricht alles über dich herein. Die Schmerzen werden stärker, die Erschöpfung tiefer, der Kopf schwerer. Und weil du dich nach außen „gut gehalten“ hast, hast du niemanden, dem du die Wahrheit zeigen kannst. Die Reaktionen anderer verstärken nur das Gefühl, dass du dich beim nächsten Mal noch mehr zusammenreißen musst.
So rutschst du weiter in den Teufelskreis: Je stärker du funktionierst, desto weniger glaubt man dir, wie es dir wirklich geht – und desto mehr brennst du innerlich aus.
Die zunehmende Scham – und der wachsende Rückzug
Mit jeder neuen Erklärung, die nicht ankommt, und mit jedem Versuch, normal zu wirken, wächst die Scham. Es ist eine Scham, die sich nicht durch Worte ausdrückt, sondern durch Gedanken, die du kaum jemandem zeigst. Du fängst an, dich für deinen Körper zu entschuldigen. Du fragst dich, warum du nicht mehr so belastbar bist wie früher. Du denkst darüber nach, was andere wohl denken, wenn du schon wieder absagst oder Pausen brauchst.
Diese Scham führt zu einem Verhalten, das fast alle Betroffenen kennen: Du beginnst, weniger zu sagen. Zuerst erzählst du weniger über den Schmerz. Dann lässt du Erklärungen weg. Und irgendwann sagst du fast gar nichts mehr, weil jede Erklärung weh tut, jedes Missverständnis Energie raubt und jeder skeptische Blick deine innere Stabilität zerreißt.
Doch auch dieses Schweigen ist Teil des Teufelskreises. Je weniger du sagst, desto weniger wird verstanden. Je weniger verstanden wird, desto isolierter fühlst du dich. Je isolierter du dich fühlst, desto mehr wächst die Scham. Und je größer die Scham, desto mehr schweigst du.
Der Moment, in dem du dir selbst nicht mehr glaubst
Der vielleicht schmerzhafteste Punkt dieses Teufelskreises ist der, an dem du anfängst, nicht nur die Reaktionen der anderen infrage zu stellen, sondern deine eigenen Gefühle. Du fragst dich, ob du dich wirklich zu empfindlich verhältst. Du fragst dich, ob du zu viel erwartest. Du fragst dich, ob deine Schmerzen wirklich so schlimm sind oder ob du einfach schlecht damit umgehst.
Diese Selbstzweifel sind gefährlich, weil sie deine innere Sicherheit zerstören. Dein Körper schreit eine Wahrheit, und dein Kopf fragt sich, ob diese Wahrheit gültig ist. Das ist ein innerer Konflikt, der unglaublich viel Kraft kostet.
Dieser Konflikt führt dazu, dass du noch weniger um Hilfe bittest, noch weniger erklärst, noch häufiger schweigst und noch stärker versuchst, zu funktionieren. Und damit schließt sich der Kreis – ein Teufelskreis, der dich körperlich, psychisch und sozial erschöpft.
Warum dieser Teufelskreis nichts mit dir zu tun hat
Dieser Teufelskreis ist nicht deine Schuld. Er ist die Folge einer Erkrankung, die unsichtbar ist, schwer greifbar und von der Umgebung oft missverstanden wird. Die Scham, die du fühlst, gehört nicht zu dir. Sie gehört zu einer Gesellschaft, die sichtbare Beweise bevorzugt, einfache Erklärungen liebt und mit chronischem Leid nicht gut umgehen kann.
Fibromyalgie hat nichts mit Schwäche zu tun. Sie ist eine neurologische, komplexe, körperliche Erkrankung. Du bist nicht empfindlich. Du bist nicht schwierig. Du bist nicht übertrieben. Du bist ein Mensch, der jeden Tag kämpft, ohne dass es jemand sieht.
Dass du trotzdem weitermachst, obwohl du oft kaum kannst, ist ein Zeichen von enormer Stärke. Dass du dich trotz Schmerzen bemühst, am Leben teilzuhaben, zeigt Mut. Und dass du dich manchmal zurückziehst, ist kein Zeichen von Schuld, sondern von Erschöpfung.
Der erste Schritt raus aus dem Teufelskreis
Der erste kleine, aber entscheidende Schritt aus diesem Teufelskreis besteht darin, zu erkennen, dass deine Gefühle berechtigt sind – ohne dass du dafür einen Beweis liefern musst. Du darfst sagen, dass es dir schlecht geht. Du darfst Grenzen setzen. Du darfst Pausen einlegen. Und du darfst fühlen, was du fühlst, ohne dich dafür zu schämen.
Du musst deinen Schmerz nicht beweisen. Du musst ihn nicht sichtbar machen. Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass dein Körper anders reagiert als früher. Fibromyalgie raubt dir schon genug. Sie darf dir nicht auch noch die Würde nehmen, die dir zusteht.







