Wetterfühligkeit ist nicht „Empfindlichkeit“. Für viele Menschen mit Fibromyalgie ist sie ein körperlicher Ausnahmezustand, der von außen oft unsichtbar bleibt. Wenn der Himmel kippt und der Körper schon vorher reagiert.
Es gibt diese Tage, an denen sich die Welt ganz normal anfühlt, zumindest auf dem Papier. Der Kalender ist voll, die Aufgaben sind klar, die Erwartungen von außen wirken vernünftig.
Und dann kippt etwas, manchmal so unspektakulär wie ein grauer Rand am Horizont. Ein Luftdruckwechsel, ein Wetterumschwung, ein Regen, der nicht einmal dramatisch wirkt.
Für Menschen ohne chronische Schmerzen ist das eine Randnotiz. Für viele Menschen mit Fibromyalgie ist es ein Moment, in dem der Körper eine andere Sprache spricht – eine, die nicht verhandelt, nicht diskutiert, nicht „noch eben“ abwartet.
Wetterfühligkeit ist ein Wort, das in Alltagsgesprächen oft so klingt, als ginge es um Stimmung. Als ginge es um Launen, um ein bisschen müde sein, um „ich spüre, dass Regen kommt“. Und genau darin liegt schon der erste Bruch: Denn bei Fibromyalgie geht es nicht um das romantische Bild eines empfindsamen Körpers, sondern um ein Nervensystem, das zu früh, zu stark und zu lange Alarm schlägt. Nicht, weil jemand schwach ist, sondern weil ein komplexes Zusammenspiel aus Schmerzverarbeitung, Stressregulation und Wahrnehmung aus dem Takt geraten ist.
Manchmal ist es, als würde der Körper den Wetterbericht nicht lesen, sondern leben. Als würde er die Veränderung nicht nur wahrnehmen, sondern sich davon überrollen lassen. Und in diesem Erleben liegt eine harte Wahrheit: Es gibt keine elegante Art, das zu erklären. Kein Satz, der gleichzeitig kurz, glaubwürdig und vollständig ist. Wer es nicht kennt, denkt schnell an Übertreibung. Wer es kennt, sucht oft nach Worten, die nicht nach Ausrede klingen. Und genau diese Suche macht müde.
„Das kann doch nicht vom Wetter kommen“ – der Satz, der wie eine zweite Krankheit wirkt
Es ist bemerkenswert, wie schnell im Alltag das Wetter als Ursache ausgeschlossen wird, sobald es um echte Beschwerden geht. Man sagt es so leicht: „Das ist doch nur Wetter.“ Oder: „Das bildest du dir ein.“ Oder: „Das haben doch alle mal.“ Diese Sätze sind selten böse gemeint. Aber sie treffen einen wunden Punkt. Denn sie berühren nicht nur den Schmerz, sondern das Bedürfnis, ernst genommen zu werden. Und sie berühren etwas, das bei Fibromyalgie ohnehin oft wackelt: das Vertrauen in den eigenen Körper und in die eigene Wahrnehmung.
Menschen mit Fibromyalgie kennen oft zwei Sorten Zweifel. Den eigenen Zweifel, wenn man sich fragt, ob man übertreibt, ob man sich zu sehr beobachtet, ob man sich in etwas hineinsteigert. Und den Zweifel der Umgebung, der manchmal offen ausgesprochen wird, manchmal nur in Blicken liegt, in einem kurzen Schweigen, in einem Wechsel des Themas. Wetterfühligkeit wird dabei besonders schnell zur Projektionsfläche, weil sie so schwer messbar ist. Es gibt kein Blutbild, das „Luftdruckschmerz“ ausdruckt. Kein Röntgenbild, das „Sturmtief“ markiert. Und trotzdem kann der Körper reagieren, als hätte er ein inneres Barometer, das nicht nur registriert, sondern eskaliert.
Wenn die Umgebung sagt „Das kann doch nicht sein“, dann geht es im Kern um ein Bedürfnis nach Ordnung. Menschen wollen Ursachen, die man anfassen kann. Sie wollen klare Regeln: Wenn A, dann B. Wenn Schmerz, dann muss es eine Entzündung geben. Wenn Erschöpfung, dann muss man geschlafen haben. Wenn Schwindel, dann muss etwas im Ohr nicht stimmen. Fibromyalgie widerspricht dieser Ordnung, und Wetterfühligkeit widerspricht ihr erst recht. Es ist, als würde der Körper ein Kapitel aus einem Buch vorlesen, das niemand sonst besitzt. Und wer es nicht hört, hält es für erfunden.
Für Betroffene entsteht daraus ein zermürbender Nebenschmerz: die ständige Notwendigkeit, die eigene Realität zu verteidigen. Nicht einmal dramatisch, oft nur in kleinen Situationen. Man sagt ab. Man kommt später. Man wirkt still. Man zieht sich zurück. Und irgendwann spürt man: Es geht nicht nur darum, ob der Körper schmerzt. Es geht darum, wie viel Misstrauen man zusätzlich tragen muss. Und das ist ein Gewicht, das man selten benennen darf, ohne als „zu sensibel“ zu gelten.
Wetterfühligkeit als Nervensystem-Erfahrung, nicht als Charaktereigenschaft
Ein hilfreicher Gedanke, der nichts verharmlost, aber vieles sortiert, ist dieser: Wetterfühligkeit bei Fibromyalgie ist weniger eine „Wetterfrage“ als eine Frage der Reizverarbeitung. Der Körper reagiert nicht auf den Regen als romantisches Ereignis, sondern auf Veränderungen, die das vegetative Nervensystem, die Stressachsen und die Wahrnehmungsfilter beeinflussen können. Es ist, als würde das System, das normalerweise leise im Hintergrund arbeitet, plötzlich aufdrehen. Und was sonst gedämpft wird, wird plötzlich laut.
Viele Menschen mit Fibromyalgie beschreiben, dass sich bei Wetterwechseln nicht nur ein Symptom verschlechtert, sondern das gesamte Körpergefühl kippt. Nicht nur ein Schmerzpunkt, sondern ein flächiges Brennen, Ziehen, Drücken, eine Art diffuse Entzündungsempfindung ohne Entzündung. Nicht nur Müdigkeit, sondern eine bleierne Erschöpfung, die sich anfühlt, als hätte der Körper über Nacht alle Reserven abgegeben. Nicht nur Kopfschmerz, sondern ein Druck, der den Kopf schwer macht und die Konzentration bricht. Nicht nur „ein bisschen empfindlich“, sondern eine Überempfindlichkeit gegen Geräusche, Licht, Berührung, Reibung von Kleidung, Gerüche, Temperatur.
Wenn man das ernst nimmt, wird klar: Es geht nicht um eine einzelne Ursache, die man „wegmachen“ könnte. Es geht um ein System, das schneller in Alarm gerät und langsamer wieder herunterfährt. Wetterumschwünge sind dann nicht die einzige Auslösergruppe, aber sie werden zu einem verlässlichen Verstärker. Für manche ist es der Luftdruck, für andere die Feuchtigkeit, für wieder andere die Kälte oder die Schwüle. Viele erleben eine Mischung, die schwer zu trennen ist. Und genau das macht es so schwer, es der Umgebung zu erklären: Es ist nicht sauber abgrenzbar. Es ist ein Muster, kein Beweisfoto.
Und doch gibt es eine innere Logik, die Betroffene oft sehr genau kennen. Nicht als Aberglauben, sondern als langjährige Beobachtung. Man spürt es im Gewebe, in den Gelenken, in der Haut, in den Muskeln, in der Nervigkeit des gesamten Systems. Der Körper wird zu einem Sensor. Und dieses Sensor-Sein ist nicht romantisch. Es ist anstrengend, weil es die Welt weniger planbar macht.
Die unsichtbare Vorlaufzeit: Wenn der Körper schon reagiert, bevor es regnet
Ein besonders irritierender Teil der Wetterfühligkeit ist, dass sie nicht immer zeitgleich mit dem Wetterereignis auftritt. Manchmal ist es, als würde der Körper den Wechsel früher „wissen“. Der Tag beginnt merkwürdig. Der Schlaf war unruhig, obwohl man eigentlich erschöpft war. Der Morgen fühlt sich schwer an, als würde jede Bewegung mehr Überzeugungsarbeit verlangen. Die Stimmung wirkt nicht unbedingt traurig, aber gedrückt, reizbar, dünnhäutig. Der Körper ist nicht nur müde, er ist wachsam. Und später erst sieht man: Das Wetter hat tatsächlich gedreht.
Diese Vorlaufzeit ist genau der Punkt, an dem viele Betroffene sich selbst misstrauen. Weil es so unlogisch klingt. Weil es so leicht ist, sich einzureden, man suche nach Zusammenhängen. Aber chronische Erkrankungen lehren eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Nicht aus Freude, sondern aus Notwendigkeit. Wer zu oft erlebt hat, dass ein „normaler Tag“ plötzlich entgleist, lernt, Frühzeichen zu lesen. Man lernt, kleine Verschiebungen ernst zu nehmen. Und wenn man diese Frühzeichen ernst nimmt, ist es nicht ungewöhnlich, dass man Muster erkennt, die andere nicht sehen.
Für Angehörige und Freunde ist das schwer. Sie sehen ja nur den Moment, in dem jemand sagt: „Heute geht es nicht.“ Und dann gucken sie aus dem Fenster und sehen: nichts. Kein Sturm, kein Regen, keine Kälte. Vielleicht sogar Sonne. Und dann wirkt es wie eine Diskrepanz. Diese Diskrepanz ist real – aber sie entsteht nicht durch Unwahrheit, sondern durch unterschiedliche Zugriffsmöglichkeiten auf die Realität. Der eine sieht den Himmel. Der andere spürt ein Nervensystem, das die Welt als zu laut, zu schwer, zu schnell empfindet. Beides kann gleichzeitig wahr sein. Und genau diese Gleichzeitigkeit ist das, was in vielen Beziehungen Konflikte erzeugt, ohne dass jemand „schuld“ ist.
Warum Rückzug oft ein Körperreflex ist – und trotzdem weh tut
Viele Betroffene benutzen für diese Tage Worte wie Rückzug, Schutz, Abschirmung. Das klingt im ersten Moment nach Psyche, nach Haltung, nach „will nicht“. Aber in der Erfahrungswelt von Fibromyalgie ist Rückzug oft ein Körperreflex. Nicht gegen Menschen, sondern gegen Reize. Der Körper zieht Grenzen, weil er sonst überläuft. Und dieses Überlaufen ist nicht metaphorisch. Es ist spürbar: als Zittern, als innere Unruhe, als Herzklopfen, als Schweiß, als Druck, als Schmerzanstieg, als plötzliche Erschöpfung, als das Gefühl, dass selbst normale Gespräche zu viel sind.
Rückzug ist dann ein Versuch, das System zu stabilisieren. Nicht immer bewusst. Manchmal ist es nur ein Impuls: „Ich kann heute nicht reden.“ „Ich muss allein sein.“ „Ich muss mich hinlegen.“ „Bitte nicht anfassen.“ Und weil dieser Impuls nicht in eine gesellschaftlich akzeptierte Krankheitslogik passt, wird er oft missverstanden. Als Unhöflichkeit. Als Laune. Als Ablehnung. Als mangelnde Belastbarkeit. Als fehlender Wille.
Der Schmerz daran ist doppelt. Erstens, weil man oft selbst nicht genau erklären kann, was passiert. Es ist nicht immer ein klarer Schmerzpunkt, den man zeigen kann. Es ist ein Gesamtsystem. Zweitens, weil Rückzug in Beziehungen ein heikles Wort ist. Es klingt nach Mauer. Nach Distanz. Nach „du bist das Problem“. Dabei ist es häufig genau andersherum: Menschen ziehen sich zurück, weil sie die Beziehung schützen wollen. Weil sie wissen, dass sie gereizt sind, dass sie wenig Geduld haben, dass sie dünnhäutig reagieren. Sie wollen nicht verletzen, also werden sie still. Und dann wirkt die Stille wie Kälte. Es ist ein tragischer Übersetzungsfehler, der sich immer wieder wiederholt.
Die Umgebung sieht Termine. Der Körper sieht Risiko.
Viele Konflikte rund um Wetterfühligkeit sind eigentlich Konflikte rund um Planbarkeit. Die Umgebung lebt in Terminen, in Absprachen, in der Vorstellung, dass ein Ja ein Ja bleibt. Und das ist verständlich, denn so funktioniert Alltag. Fibromyalgie bringt eine andere Realität hinein: die Realität eines Körpers, der nicht zuverlässig mitspielt. Wetterwechsel sind dabei wie ein unsichtbarer Störsender. Man kann den Tag planen, man kann motiviert sein, man kann sich freuen – und trotzdem kann der Körper plötzlich signalisieren: Heute ist jedes zusätzliche Reizpaket ein Risiko.
Wer das nicht erlebt, hört „Risiko“ und denkt an Übertreibung. Wer es erlebt, weiß, wie schnell ein kleiner Übertritt über die eigene Grenze einen Preis hat. Nicht nur im Moment, sondern oft am nächsten Tag, manchmal mehrere Tage. Diese zeitliche Verzögerung macht alles noch schwerer. Denn die Umgebung verknüpft Ursache und Wirkung oft mit dem gleichen Tag. Wenn man gestern noch unterwegs war, kann es heute doch nicht so schlimm sein. Wenn man heute absagt, war es gestern doch offenbar möglich. Diese Logik ist alltäglich – aber sie passt nicht zu einem Nervensystem, das nach Belastung nachschwingt, das nicht sofort, sondern verzögert reagiert.
Wetterfühligkeit verstärkt dieses Nachschwingen. Sie wirkt wie ein Verstärker auf ein ohnehin empfindliches System. Man könnte sagen: Der Körper hat weniger Puffer. Das ist kein moralisches Urteil, sondern eine Beschreibung. Und wenn ein System wenig Puffer hat, ist Rückzug nicht Schwäche, sondern eine Form von Selbststeuerung. Nur wird diese Selbststeuerung in unserer Kultur oft als Unzuverlässigkeit gelesen. Und so wird aus einem Symptom ein Charakterurteil.
„Du siehst doch gut aus“ – die Grausamkeit des Unsichtbaren
Fibromyalgie ist oft eine unsichtbare Krankheit. Das ist kein poetischer Satz, sondern eine praktische Katastrophe. Denn Unsichtbarkeit erzeugt Erwartungen. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, fragt niemand, ob er heute „wirklich“ nicht laufen kann. Wenn jemand Fieber hat, akzeptiert man, dass er nicht funktioniert. Bei Fibromyalgie und Wetterfühligkeit ist es anders. Menschen sehen ein Gesicht, das vielleicht müde wirkt, aber nicht krank genug. Sie sehen eine Haltung, die vielleicht angespannt ist, aber nicht eindeutig. Sie hören Sätze wie „Es tut weh“ oder „Ich bin erschöpft“ – und weil sie keinen Maßstab haben, ordnen sie es in die eigene Erfahrung ein. Und die eigene Erfahrung ist: Wetter macht vielleicht etwas träge, aber nicht krank.
Hier entsteht eine Kluft, die Beziehungen aufreibt. Betroffene fühlen sich nicht gesehen. Angehörige fühlen sich hilflos oder unsicher, weil sie nicht wissen, was sie glauben sollen. Manche reagieren mit Überfürsorge, manche mit Abstand, manche mit Skepsis. Und Betroffene wiederum reagieren oft mit noch mehr Rückzug, weil sie nicht schon wieder erklären wollen, nicht schon wieder kämpfen wollen, nicht schon wieder das Gefühl haben wollen, sich rechtfertigen zu müssen. So entsteht ein Kreislauf, der mit dem Wetter beginnt und in der Beziehung endet. Und manchmal wird die Beziehung selbst zum Ort, an dem der Schmerz lauter wird.
Wetterwechsel als Spiegel: Was die Krankheit über Kontrolle sagt
Eine der bittersten Erfahrungen bei Fibromyalgie ist der Verlust von Kontrolle, nicht als dramatisches Ereignis, sondern als ständige kleine Verschiebung. Man hat nicht mehr die Hoheit darüber, was der Körper morgen kann. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass Motivation reicht. Man kann nicht garantieren, dass ein guter Schlaf einen guten Tag macht. Und Wetterwechsel zeigen diese Kontrollgrenze besonders deutlich, weil sie von außen kommt. Man kann das Wetter nicht verhandeln. Man kann es nicht wegdenken. Man kann es nicht „durchziehen“.
Für viele Betroffene ist das psychisch schwer, nicht weil sie „zu wenig kämpfen“, sondern weil unsere Kultur Kampf als Lösung liebt. „Reiß dich zusammen.“ „Bleib aktiv.“ „Lass dich nicht hängen.“ Das sind Sätze, die im Alltag oft als Mut gemeint sind. Bei Fibromyalgie können sie wie Hohn wirken, wenn sie den Körper ignorieren. Wetterfühligkeit ist dann wie ein Spiegel, der sagt: Du kannst dich anstrengen, und trotzdem gibt es Tage, an denen Anstrengung nicht belohnt wird, sondern bestraft. Diese Erfahrung hat etwas Existentielles. Sie zwingt Menschen, ihr Verhältnis zu Leistung, zu Wert, zu Selbstbild neu zu sortieren.
Viele Betroffene tragen in sich eine tiefe Loyalität gegenüber dem eigenen Anspruch: Ich will zuverlässig sein. Ich will nicht zur Belastung werden. Ich will nicht ständig absagen. Ich will nicht, dass andere sich anpassen müssen. Und dann kommt das Wetter und macht diese Loyalität kompliziert. Nicht, weil der Mensch weniger loyal ist, sondern weil die Krankheit nicht mit Loyalität verhandelt. Das ist eine harte Wahrheit, und sie kann Trauer auslösen, Wut, Scham, Widerstand.
Die Sprache der Symptome: Schmerzen, die sich nicht entscheiden, wo sie hingehören
Wer Fibromyalgie nur als „Muskel- und Gelenkschmerz“ beschreibt, verpasst die Wirklichkeit vieler Betroffener. Wetterfühligkeit zeigt das besonders deutlich, weil sie oft mehrere Ebenen gleichzeitig verändert. Der Schmerz kann wandern, mal mehr in den Schultern, mal in den Hüften, mal im Rücken, mal in den Händen. Er kann brennen, stechen, drücken, ziehen. Er kann sich anfühlen wie Muskelkater ohne Anlass. Oder wie eine Entzündung ohne Entzündungswert. Er kann in der Haut liegen, als wäre die Oberfläche zu dünn. Oder tief im Gewebe, als wäre alles schwer.
Hinzu kommt oft dieses schwer erklärbare Gesamtgefühl: als wäre man innerlich wund. Als wäre das Nervensystem ständig unter Strom. Manche beschreiben es als „Grippegefühl“ ohne Infekt, als „zu viel“ in jeder Zelle. Wetterumschwünge können dieses Gefühl verstärken. Und dann kommt das, was oft am wenigsten verstanden wird: die kognitive Erschöpfung. Konzentration bricht weg, Worte fehlen, Gedächtnis wird zäh, Entscheidungen werden schwer. Von außen wirkt das wie Unaufmerksamkeit oder Unlust. Von innen fühlt es sich an wie Nebel, wie ein Gehirn, das auf Sparmodus schaltet.
Wenn Angehörige nur den Schmerz sehen wollen, verstehen sie manchmal nicht, warum schon ein Gespräch zu viel ist. Wenn sie nur die Erschöpfung sehen, verstehen sie nicht, warum Berührung weh tut. Wenn sie nur die Stimmung sehen, verstehen sie nicht, warum der Körper so reagiert. Die Symptome fügen sich nicht zu einem Bild, das man aus dem Alltag kennt. Und genau das macht Fibromyalgie so einsam.
Die stille Arbeit der Betroffenen: Immer wieder Normalität herstellen
Menschen mit Fibromyalgie leisten oft eine stille, enorme Arbeit, die von außen unsichtbar bleibt: Sie versuchen, Normalität herzustellen. Nicht als Show, sondern als Überlebensstrategie. Sie planen um, sie rechnen mit Reserven, sie vermeiden Überlastung, sie wählen Worte, sie sortieren Termine, sie begrenzen Kontakte, sie suchen Pausen, sie halten durch, sie kompensieren. Und dann kommt ein Wetterumschwung, und all diese Arbeit wirkt plötzlich wie ein Kartenhaus. Nicht weil sie falsch war, sondern weil sie an Grenzen stößt, die nicht kontrollierbar sind.
Viele Betroffene kennen das Gefühl, sich für ihre eigenen Grenzen zu schämen, obwohl sie nichts dafür können. Sie lächeln, obwohl es weh tut. Sie gehen hin, obwohl sie innerlich zittern. Sie sagen „alles gut“, obwohl es nicht gut ist, weil sie nicht die Person sein wollen, die ständig „Problem“ ist. Und diese Selbstdisziplin wird dann manchmal gegen sie verwendet: „Du wirkst doch gar nicht krank.“ „Gestern ging es doch auch.“ „Du warst doch sogar spazieren.“ Als ob Krankheit nur dann real ist, wenn man sichtbar zusammenbricht.
Wetter als Auslöser, Beziehung als Schauplatz
Wetterfühligkeit ist nicht nur ein Symptom, sie ist ein Stresstest für Beziehungen. Nicht, weil Betroffene schwierig sind, sondern weil die Krankheit unplanbar ist. Angehörige stehen vor einer Aufgabe, die kaum jemand gelernt hat: Sie müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben, ohne sie ständig aufzulösen. Sie müssen lernen, dass Liebe nicht immer in Lösungen besteht, sondern manchmal in Anerkennung. Und Betroffene wiederum müssen Wege finden, ihren Rückzug als Selbstschutz zu markieren, ohne dass er wie Liebesentzug wirkt. Das ist beides schwer. Und es gelingt nicht immer.
Viele Angehörige wünschen sich klare Ansagen: Was brauchst du? Was soll ich tun? Was hilft? Betroffene können das nicht immer beantworten, weil der Körper selbst unklar ist. Manchmal hilft Wärme, manchmal reizt sie. Manchmal hilft Ruhe, manchmal macht sie den Kopf lauter. Manchmal hilft Bewegung, manchmal wird sie zum Trigger. Wetterfühligkeit verschiebt die Regeln. Und wer in dieser Situation nach festen Rezepten sucht, wird enttäuscht. Nicht, weil niemand sich Mühe gibt, sondern weil das System nicht linear reagiert.
Ein letzter Gedanke: Wetterfühligkeit ist kein kleines Thema, wenn das Leben daran hängt
Von außen wirkt Wetter oft wie eine Nebensache. Von innen kann es ein Taktgeber sein, der den Tag strukturiert, die Woche beeinflusst, Beziehungen belastet, Arbeit erschwert, Selbstbild angreift. Wetterfühligkeit ist dann kein „Extra“, sondern ein Teil der Krankheitserfahrung. Und wenn die Umgebung das nicht versteht, entsteht ein Gefühl von Alleinsein inmitten von Menschen.
Vielleicht ist der wichtigste Schritt deshalb nicht, das Wetter zu erklären, sondern den Menschen zu sehen, der darunter lebt. Den Menschen, der nicht empfindlich sein will, aber empfindlich sein muss. Den Menschen, der nicht absagen will, aber manchmal absagen muss. Den Menschen, der nicht dramatisieren will, aber einen Körper hat, der dramatisch reagiert. Und den Menschen, der an solchen Tagen nicht mehr braucht als einen Satz, der nicht diskutiert, sondern anerkennt: „Ich sehe, dass es gerade wirklich schwer ist.“
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Fibromyalgie ist eine komplexe chronische Erkrankung, die vor allem durch weit verbreitete Schmerzen und Empfindlichkeit gekennzeichnet ist. Doch die Symptome gehen oft weit über die körperlichen Beschwerden hinaus. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter einer tiefgreifenden Erschöpfung und anhaltenden Müdigkeit – auch bekannt als Fatigue. Diese unsichtbare Belastung kann das tägliche Leben massiv beeinflussen, auch wenn sie für Außenstehende häufig schwer nachvollziehbar ist. Das Erklären dieser tiefen Erschöpfung stellt für Betroffene eine besondere Herausforderung dar, da Fatigue nicht sichtbar ist und sich kaum in Worte fassen lässt. Für das Umfeld bleibt das wahre Ausmaß dieser Belastung daher oft unsichtbar.
Weit verbreitete Schmerzen und erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei Fibromyalgie
Das charakteristischste Merkmal der Fibromyalgie sind weit verbreitete Schmerzen im gesamten Körper, die in ihrer Intensität und ihrem Charakter variieren können. Diese Schmerzen werden oft als tief, pochend oder brennend beschrieben und betreffen häufig Muskeln, Bänder und Sehnen.
Anders als Schmerzen, die auf eine spezifische Verletzung oder Entzündung zurückzuführen sind, scheinen die Schmerzen bei Fibromyalgie ohne erkennbaren Grund aufzutreten und können sich in ihrer Intensität und Lokalisation verändern. Diese Variabilität macht es für Betroffene und Ärzte gleichermaßen schwierig, ein klares Muster zu erkennen und eine konsistente Behandlungsstrategie zu entwickeln.







