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Drei Frauen, eine davon gemalt, in verschiedenen Lebenssituationen mit Fibromyalgie. Symbolisieren, dass das Leben weit ist

Es gibt Krankheiten, die den Körper erschöpfen. Und es gibt Krankheiten, die zusätzlich das Vertrauen in die eigene innere Stabilität angreifen. Fibromyalgie gehört zu jenen Erkrankungen, die beides vereinen: eine körperliche Dauerbelastung und eine emotionale Unsicherheit, die schleichend wächst.

Silhouette einer etwa 35-jährigen Frau mit Hoodie, die auf einem Stein sitzt und beide Hände im Brustbereich hält. Freundlicher Farbverlauf von Blau über Magenta, Rot und Orange zu Gelb. Symbolbild für Fibromyalgie und belastendes Herzrasen.
Fibromyalgie und Herzrasen – die stille, innere Unruhe, die niemand sieht.

Unter all den Symptomen, die diese Krankheit mit sich bringt, sticht eines besonders hervor, weil es nicht nur körperlich, sondern existenziell wirkt: das plötzliche Herzrasen. 

Es taucht auf, wenn man es am wenigsten erwartet. Es stellt sich in Momenten ein, die eigentlich Ruhe bräuchten. Und es hinterlässt das Gefühl, dass der Körper auf eine Weise reagiert, die sich nicht mehr vollständig kontrollieren lässt.

Für Außenstehende ist Herzrasen ein kurzer, unangenehmer Moment. Für Betroffene mit Fibromyalgie kann es zu einem Ereignis werden, das den ganzen Tag überschattet. Das Herz schlägt zu schnell, zu hart, zu präsent. Es meldet sich, als hätte der Körper einen Grund zur Flucht, obwohl die Umgebung ruhig ist. Dieses Missverhältnis zwischen äußerer Stille und innerem Alarm ist es, was viele so tief verunsichert. Es fühlt sich an, als würde der Körper seinen eigenen Weg gehen – unabhängig davon, was man fühlt oder braucht. Und genau diese Entkoppelung ist es, die das Herzrasen zu einem der eindringlichsten Symptome macht.

Ein Nervensystem, das aus dem Gleichgewicht geraten ist

Fibromyalgie ist keine Erkrankung einzelner Körperteile. Sie ist eine Störung der gesamten Körperregulation, insbesondere des vegetativen Nervensystems. Dieses System steuert alle unbewussten Prozesse: Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Temperatur, Verdauung und Stressreaktionen. Wenn es aus dem Gleichgewicht gerät, wird das Leben unberechenbar. Für viele Menschen mit Fibromyalgie ist genau das der Kern ihres Leidens. Das Nervensystem ist überempfindlich, reagiert zu stark oder zu schnell auf Reize, die andere kaum bemerken würden.

Dieses Übersteuern zeigt sich besonders in Situationen, die eigentlich Entspannung bringen sollten. Ein kurzer Moment der Ruhe kann reichen, damit der Körper plötzlich umschaltet. Das Nervensystem hat durch die chronische Belastung verlernt, zuverlässig zwischen Anspannung und Entspannung zu unterscheiden. Es kennt nur noch extreme Reaktionen: entweder zu viel Spannung oder eine Erschöpfung, die den gesamten Körper lähmt. In dieser ständigen Schwankung wird der Herzschlag anfällig für Überreaktionen. Er folgt nicht mehr den natürlichen Rhythmen, sondern reagiert auf die Überlastung des Nervensystems.

Der Körper ist dann nicht krank im klassischen Sinne – aber er befindet sich in einem Zustand ständiger Überforderung. Und diese Überforderung zeigt sich zuerst dort, wo man es am unmittelbarsten spürt: im Herzen. Viele Betroffene haben das Gefühl, dass ihr Körper nicht mehr in einem verlässlichen Takt arbeitet, sondern jederzeit in einen inneren Ausnahmezustand kippen kann. Dieses Wissen begleitet sie – selbst in Momenten, in denen das Herz ruhig schlägt.

Warum Herzrasen so existenziell wirkt

Das Herz ist eines der empfindlichsten Organe, was die Wahrnehmung betrifft. Ein Schmerz im Bein kann ignoriert werden, ein Druck im Bauch kann man übergehen. Aber ein veränderter Herzschlag dringt unmittelbar ins Bewusstsein. Er ist ein grundlegender Taktgeber des Lebens. Wenn er sich verändert, wirkt es so, als würde etwas an der Lebensmitte selbst rütteln.

Viele Menschen mit Fibromyalgie berichten, dass das Herzrasen selbst dann beängstigt, wenn sie medizinisch abgeklärt haben, dass das Herz gesund ist. Und genau hier wird deutlich, wie stark die emotionale Komponente ist. Das Herzrasen ist nicht gefährlich – aber es fühlt sich gefährlich an. Diese Diskrepanz ist schwer auszuhalten. Der Körper sendet Signale, die weit lauter sind, als es die Situation rechtfertigt. Man spürt den Herzschlag wie einen inneren Hammer. Jede Sekunde scheint länger zu dauern. Man wartet, bis es vorbeigeht, und verliert in dieser Wartezeit einen kleinen Teil seiner inneren Sicherheit.

Es ist das Gefühl der Hilflosigkeit, das viele besonders belastet. Denn der Körper reagiert ohne Vorwarnung. Und was man nicht vorhersehen kann, kann man auch nicht kontrollieren. Diese Unberechenbarkeit erzeugt Angst – nicht nur vor dem Herzrasen selbst, sondern vor allem, was es auslösen könnte. Manche Betroffene entwickeln eine tiefe Unsicherheit gegenüber ihrem eigenen Körper und fragen sich, ob sie sich noch auf ihn verlassen können, wenn er selbst in friedlichen Momenten Alarm schlägt.

Die verstärkte Körperwahrnehmung – wenn jeder Herzschlag zu laut wird

Fibromyalgie verstärkt körperliche Empfindungen. Das ist gut dokumentiert und für viele Betroffene eine tägliche Erfahrung. Die Nervensysteme, die Schmerz und Körperwahrnehmung steuern, arbeiten intensiver und sensibler. Was bei anderen im Hintergrund bleibt, tritt bei Menschen mit Fibromyalgie in den Vordergrund. Ein normaler Herzschlag kann sich plötzlich anfühlen, als wäre er doppelt so stark. Ein leicht erhöhter Puls wirkt wie ein Alarmsignal. Ein kurzer „Stolperer“ kann das Gefühl erzeugen, dass etwas im Herz aus dem Takt geraten ist, obwohl es physiologisch unbedenklich ist.

Diese Überempfindlichkeit ist kein Zeichen von Schwäche und keine Einbildung. Sie ist ein Symptom der Erkrankung. Sie erklärt, warum selbst harmlose Herzreaktionen als bedrohlich wahrgenommen werden. Das Herz arbeitet normal – aber die Wahrnehmung verzerrt die Intensität. Das macht das Leben mit Herzrasen zu einer ständigen Gratwanderung zwischen Wissen und Empfinden. Man weiß, dass nichts passiert – und fühlt gleichzeitig, dass etwas nicht stimmt. Dieser Widerspruch zermürbt und nimmt vielen das Vertrauen in ihre eigene Wahrnehmung.

Hinzu kommt, dass Betroffene oft in einem Zustand permanenter Selbstbeobachtung leben. Wer schon mehrfach Herzrasen erlebt hat, beginnt, den eigenen Puls zu kontrollieren, auf kleinste Veränderungen zu achten und jedes ungewöhnliche Gefühl in der Brust zu registrieren. Diese ständige Aufmerksamkeit kann das Erleben weiter verstärken – nicht, weil man sich etwas einbildet, sondern weil der Fokus auf das Herz jede Empfindung lauter erscheinen lässt.

Kreislaufprobleme und POTS – wenn der Körper die Position wechselt

Viele Betroffene erleben ein Phänomen, das dem posturalen Tachykardiesyndrom (POTS) ähnelt: Beim Aufstehen schnellt der Puls nach oben, manchmal auf Werte, die erschreckend wirken. Schon ein Gang durch die Wohnung, ein kurzer Weg zur Tür oder das Wechseln von Sitzen zu Stehen reicht aus, damit das Herz plötzlich rast. Dazu können Schwindel, Zittern, Benommenheit oder ein Gefühl von Schwäche kommen.

Diese Beschwerden entstehen, weil das Nervensystem nicht mehr zuverlässig steuert, wie schnell der Puls steigen oder fallen soll. Der Übergang zwischen Ruhe und Belastung, der bei gesunden Menschen kaum spürbar ist, wird für Menschen mit Fibromyalgie zu einem körperlichen Kraftakt. Der Körper benötigt mehr Energie, um den Blutdruck zu stabilisieren, und kompensiert dies mit einem schnellen Herzschlag. Das ist aus Sicht des Körpers logisch, fühlt sich aus Sicht der Betroffenen aber dramatisch an.

Wenn der Puls jedes Mal beim Aufstehen stark steigt, entsteht das Gefühl, bereits an den einfachsten Bewegungen zu scheitern. Viele beginnen, ihre Bewegungen zu planen oder zu verlangsamen, um das Herzrasen zu vermeiden. Die Angst vor der nächsten Attacke begleitet sie bei jedem Positionswechsel. So wird etwas völlig Alltägliches – der Weg vom Stuhl zur Tür, vom Bett ins Bad – zu einer Situation, in der sich der Körper unsicher und überfordert anfühlt.

Chronischer Schlafmangel – ein unsichtbarer Verstärker

Kaum ein anderes Symptom verschärft Herzrasen so deutlich wie Schlafmangel. Menschen mit Fibromyalgie durchleben Nächte, die oberflächlich wirken, unruhig, brüchig und nie tief genug. Der Körper erreicht nicht die Schlafstadien, die notwendig wären, um Stresshormone abzubauen und das Nervensystem zu regulieren. Statt in einen echten Erholungsmodus zu wechseln, bleibt er an der Grenze zwischen Wachsein und Erschöpfung hängen.

Ein Körper, der nie vollständig zur Ruhe kommt, reagiert über. Das Nervensystem wird dünnhäutig, die Reizschwelle sinkt, und selbst kleine Belastungen führen zu übergroßen Reaktionen. Das Herz wird schneller, die Atmung flacher, das innere Gleichgewicht fragiler. Viele Betroffene beschreiben, dass ihr Herzrasen morgens besonders stark ist – genau dann, wenn der Körper eigentlich Kraft sammeln sollte. Statt Erholung steht am Morgen die Erinnerung daran, dass die Nacht nicht gereicht hat, um das Nervensystem zu entlasten.

Dieser permanente Schlafmangel wirkt wie ein unsichtbarer Verstärker. Er macht das Nervensystem empfindlicher, die Muskulatur angespannter und den Kreislauf labiler. Herzrasen ist in diesem Zustand nicht nur ein Symptom, sondern ein Ausdruck der völligen Überlastung eines Systems, das zu lange ohne echte Pause arbeiten musste.

Medikamente, die das Herz zusätzlich reizen können

Fibromyalgie wird häufig mit Medikamenten behandelt, die auf das Nervensystem wirken. Einige davon können als Nebenwirkung Herzrasen, Herzklopfen oder innere Unruhe verursachen. Dazu gehören bestimmte Antidepressiva, Schlafmittel oder Schmerzmedikamente. Sie verändern die Balance der Botenstoffe im Körper, und genau diese Balance ist bei vielen Betroffenen ohnehin bereits gestört.

Wenn ein ohnehin sensibles Nervensystem auf Medikamente trifft, kann jede kleine Veränderung spürbar werden. Ein minimal erhöhter Puls, den andere kaum bemerken würden, wird von Betroffenen deutlich registriert. Nicht, weil sie übertreiben, sondern weil ihr Körper bereits im Grenzbereich arbeitet. In diesem Zustand wirkt jede zusätzliche Irritation stärker.

Für viele entsteht dadurch ein Dilemma: Man braucht Medikamente gegen Schmerzen, Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen, doch manche dieser Mittel können wiederum Symptome verstärken, die Angst auslösen. Die Folge ist oft eine tiefe Verunsicherung. Man fragt sich, ob man dem eigenen Körper noch trauen kann, wenn selbst die Mittel, die Erleichterung bringen sollen, neue Unruhe erzeugen.

Die emotionale Dimension – wenn Herzrasen das Leben mitbestimmt

Herzrasen ist kein isoliertes körperliches Phänomen. Es greift tief in den Alltag, in Entscheidungen und in Beziehungen ein. Viele Menschen beginnen, Aktivitäten zu vermeiden, die früher selbstverständlich waren. Man sagt Verabredungen ab, bleibt zu Hause, reduziert Bewegungen oder plant den Tag so, dass man Situationen mit potenzieller Überforderung meidet.

Diese Anpassungen sind verständlich, aber sie haben einen hohen Preis. Sie können dazu führen, dass das Leben enger wird. Der Raum, in dem man sich sicher fühlt, schrumpft. Das Herzrasen ist dann nicht nur ein Symptom, das für Minuten auftritt, sondern ein Faktor, der das gesamte Leben strukturiert. Es entscheidet mit darüber, wohin man geht, mit wem man sich trifft und wie spontan man noch sein kann.

Herzrasen kann auch das Bild, das man von sich selbst hat, verändern. Wer immer wieder erlebt, dass der Körper ohne erkennbaren Grund in den Alarmzustand geht, fühlt sich weniger belastbar und weniger verlässlich. Viele entwickeln das Gefühl, anderen nicht mehr zumuten zu können, wie fragil sie sich fühlen. Die Folge ist oft ein Rückzug, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Man spricht weniger über die eigenen Ängste, weil man befürchtet, nicht verstanden zu werden.

So entsteht ein Kreislauf: Das Herzrasen erzeugt Angst, die Angst verstärkt die Aufmerksamkeit auf den Körper, die verstärkte Aufmerksamkeit macht jede kleine Veränderung spürbar – und jede spürbare Veränderung kann neues Herzrasen auslösen. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist eine große Herausforderung und gleichzeitig ein wichtiger Schritt, um mit der Erkrankung leben zu können.

Ist Herzrasen bei Fibromyalgie gefährlich?

Die kurze Antwort lautet: In der überwiegenden Zahl der Fälle nein. Das Herz ist stabil, die Strukturen sind gesund, die Funktion ist normal. Das Problem ist nicht das Herz selbst, sondern die Signale, die es erhält, und die Art, wie der Körper diese Signale wahrnimmt. Herzrasen entsteht durch Überreizungen des Nervensystems, durch Schlafmangel, durch chronische Erschöpfung und durch eine verstärkte Wahrnehmung.

Eine gründliche kardiologische Untersuchung ist wichtig, um gefährliche Ursachen auszuschließen. Sie kann objektiv zeigen, dass das Herz belastbar und gesund ist. Doch der entscheidende Schritt beginnt danach: das Wissen zu akzeptieren, dass der Körper zwar gern Alarm schlägt, aber kein akuter Schaden bevorsteht. Diese Einsicht nimmt nicht jede Angst – aber sie verhindert, dass aus einem Gefühl eine dauerhafte existenzielle Bedrohung wird.

Mit der Zeit kann so ein neuer Umgang mit dem Herzrasen entstehen. Es bleibt ein unangenehmes, manchmal beängstigendes Symptom. Aber es muss nicht mehr das gesamte Leben bestimmen. Es darf ein Zeichen dafür sein, wie sehr das Nervensystem überlastet ist – und ein Hinweis darauf, dass der Körper nicht Schwäche zeigt, sondern Hilfe braucht. Nicht in Form von Vorwürfen, sondern in Form von Verständnis, Entlastung und echter, respektvoller Begleitung.



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