Warum Frauen so oft stärker wirken, als sie sich fühlen
Viele Frauen sind ihr Leben lang die tragende Säule für andere. Sie organisieren, sie kümmern sich, sie sind emotional ansprechbar. Wird dann Brustkrebs diagnostiziert, behalten sie diese Rolle oft bei – nicht, weil es ihnen so gut geht, sondern weil sie ihre Familie schützen wollen. Sie möchten nicht, dass Kinder sie weinend sehen. Sie möchten nicht, dass der Partner zusätzlich belastet wird. Und sie möchten nicht, dass sich alle Gespräche nur noch um die Erkrankung drehen. Also sagen sie „es geht schon“, selbst wenn die Fatigue sie erschöpft, die Brustoperation sie verunsichert und die ständige Angst vor einem Rückfall an ihren Nerven zerrt.
Brustkrebs betrifft zudem einen sehr intimen Teil des Körpers. Viele empfinden die Erkrankung nicht nur als medizinische Herausforderung, sondern auch als Angriff auf ihre Weiblichkeit. Darüber offen zu sprechen, fällt schwer. Stattdessen wird die Fassade gestärkt: gut angezogen, geschminkt, manchmal mit Perücke – nicht, um etwas vorzutäuschen, sondern um ein Stück Würde zu behalten. Die Maske ist damit kein Betrug, sondern Selbstschutz.
Ein weiterer Grund ist das Bedürfnis nach Kontrolle. Krebs nimmt viel Kontrolle. Die Frau kann nicht bestimmen, wie die Therapie wirkt oder ob die Nachsorge unauffällig bleibt. Aber sie kann bestimmen, wie sie auftritt. Diese Haltung – „ich zeige mich stark“ – ist oft der letzte Bereich, den sie selbst steuern kann. Dass das nach außen wie „sie steckt das alles locker weg“ aussieht, ist eine Folge, aber nicht der Kern.
Der stille Druck, immer „positiv“ zu bleiben
Unser Bild von Krebserkrankungen ist stark geprägt von der Idee der Kämpferin. „Du schaffst das“, „bleib positiv“, „du bist so stark“ – all diese Sätze sind gut gemeint, können aber Druck erzeugen. Viele Betroffene trauen sich irgendwann nicht mehr, Traurigkeit oder Angst zu zeigen, weil sie niemanden enttäuschen wollen. Wer immer wieder hört, wie tapfer sie ist, glaubt irgendwann, sie müsse auch tapfer bleiben. Schwäche zu zeigen wirkt dann wie ein Rückschritt.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele moderne Brustkrebstherapien ambulant sind. Von außen sieht man oft wenig. Perücken verdecken Haarausfall, Make-up lässt die Haut wacher wirken. Das Umfeld sieht: „Sie ist doch unterwegs, sie geht einkaufen, sie ist bei der Geburtstagsfeier.“ Was niemand sieht: dass sie danach zwei Stunden liegen muss. Oder dass sie nachts nicht schlafen kann. Unsichtbare Belastung bleibt oft unbemerkt – und je unsichtbarer sie ist, desto stärker wird die Maske.
Viele Frauen vergleichen sich außerdem: „Andere haben Metastasen, ich darf mich nicht beschweren.“ „Meine Werte sind gut, also muss ich dankbar sein.“ Diese Gedanken klingen vernünftig und bescheiden, sie sorgen aber dafür, dass eigenes Leid kleingeredet wird. Die Maske bleibt dann aus Loyalität gegenüber anderen Betroffenen aufgesetzt – auch das ist eine Form von innerer Größe, aber sie kostet Kraft.
Woran du merkst, dass hinter der Fassade Leid steckt
Nicht jede Frau sagt offen: „Mir geht es schlecht.“ Viele verpacken ihre Not in Sätzen wie „ich bin nur müde“, „es war ein langer Tag“, „macht ihr mal ohne mich“. Gerade diese kleinen Sätze können Hinweise sein. Fatigue nach Brustkrebs ist kein normales „ich bin müde“, sondern eine tiefe, krankheitsbedingte Erschöpfung, die sich nicht einfach wegschlafen lässt. Wenn sie also immer wieder „nur müde“ ist, kann das bedeuten: Sie kämpft sehr.
Achte auch auf Rückzug. Wenn sie Treffen häufiger absagt, wenn sie häufiger sagt „mir ist heute nicht nach Besuch“, wenn sie sich scheinbar grundlos zurückzieht, kann das bedeuten, dass sie Kraft sparen muss. Viele Betroffene halten tagsüber durch, solange andere da sind – und brechen zusammen, wenn sie allein sind. Das zeigt: Die Stärke war für andere da, nicht für sie.
Ein anderes Signal ist übertriebene Kontrolle. Wenn sie jede Untersuchung bis ins Detail verstehen will, jeden Arztbrief sofort lesen muss und sehr viel plant, ist das oft kein Misstrauen, sondern Angst. Wer Angst hat, versucht, über Informationen die Lage zu beherrschen. Dass sie dabei ruhig oder sachlich wirkt, heißt nicht, dass sie innerlich ruhig ist.
Besonders aussagekräftig sind Sätze wie „ich will euch nicht belasten“ oder „anderen geht es schlimmer“. Sie bedeuten oft: „Ich bräuchte eigentlich jemanden, aber ich traue mich nicht, es zu sagen.“ Genau da kannst du aufmerksam werden.
Was du als Ehemann, Partner oder Verwandter wirklich tun kannst
Du kannst der Mensch sein, bei dem sie die Maske abnehmen darf. Das gelingt, wenn du nicht nur nach Fakten fragst („Wie waren die Werte?“), sondern nach Gefühl („Was hat dir daran Angst gemacht?“, „Wo war es heute zu viel?“). Solche Fragen laden nicht zum Berichten ein, sondern zum Öffnen. Sie machen klar: Du musst mir nichts vorspielen.
Biete konkrete Hilfe an. Viele Frauen mögen den Satz „wenn was ist, sag Bescheid“ nicht, weil er die Verantwortung wieder zu ihnen schiebt. Besser ist: „Ich übernehme morgen das Essen“, „ich fahre dich zur Untersuchung“, „ich kümmere mich um die Kinder“, „wir sagen den Besuch ab, wenn du müde bist“. So muss sie nicht erst um Hilfe bitten – und das ist entlastend.
Nimm ihre Gefühle ernst, ohne sie kleinzureden. Sätze wie „sei froh, dass es früh entdeckt wurde“ oder „du siehst doch wieder gut aus“ sind nicht böse gemeint, können aber weh tun, weil sie den inneren Kampf unsichtbar machen. Hilfreicher sind Sätze wie „ich sehe, dass du viel trägst“, „du darfst erschöpft sein“ oder „du musst nicht immer stark sein“. Damit trennst du äußeren Verlauf (der vielleicht gut ist) von innerer Belastung (die trotzdem groß sein kann).
Du darfst ihr auch ausdrücklich die Erlaubnis geben, schwach zu sein: „Bei mir musst du nicht tapfer sein.“ „Du kannst weinen, ich halte das aus.“ Viele Frauen haben genau davor Angst – dass sie andere mit ihrer Traurigkeit überfordern. Wenn du zeigst, dass du bleiben wirst, auch wenn sie nicht stark ist, dann wird die Maske weicher.
Wenn die Maske fällt – und warum das kein Rückschritt ist
Es kann sein, dass nach Wochen scheinbarer Stabilität plötzlich ein Tag kommt, an dem sie gar nicht mehr kann. Dann kommen Tränen, vielleicht auch Wut oder der Satz „ich schaffe das nicht mehr“. Viele Betroffene entschuldigen sich sogar dafür – als hätten sie versagt. Dabei ist genau dieser Moment oft der ehrlichste. Hier zeigt sich das, was unter der Oberfläche war.
Deine Aufgabe ist in diesem Moment nicht, sie sofort wieder „stark“ zu machen. Sag nicht „du bist doch so tapfer“, denn das treibt sie wieder in die Rolle. Sag lieber: „Danke, dass du mir das zeigst.“ oder „du musst heute gar nichts leisten.“ oder „ich bin da.“ So wächst Vertrauen – und Vertrauen entlastet. Nur wo sie auch mal schwach sein darf, kann sie sich erholen.
Psychisch nicht ständig funktionieren zu müssen, ist ein wichtiger Teil der Genesung. Wenn sie überall stark sein muss, bleibt der Körper dauerhaft im Alarmzustand. Wenn sie bei dir weich sein darf, kann der Körper runterfahren. Das ist kein Rückschritt, sondern ein wichtiger Teil des Weges.
Warum du dich nicht täuschen lassen solltest
Viele Außenstehende glauben, eine Krebserkrankung sei vorbei, wenn die Operation, die Chemo oder die Bestrahlung vorbei ist. Aber bei Brustkrebs bleibt vieles: Nachsorgetermine, Hormontherapien mit Nebenwirkungen, die Angst vor einem Rückfall, das veränderte Körpergefühl, manchmal Unsicherheit in der Partnerschaft. All das passiert nach außen meist leise. Gerade dann ist die Gefahr groß, dass das Umfeld sagt: „Jetzt ist doch wieder gut.“ Für die Betroffene selbst ist es das oft noch nicht.
Wenn du nur auf die Maske schaust, kannst du ungewollt Druck machen: „Du kannst doch wieder arbeiten“, „du bist doch wieder fit“. Wenn du aber weißt, dass viele Frauen aus Rücksicht auf andere stark wirken, reagierst du sanfter, vorsichtiger und respektvoller. Du lässt Pausen zu. Du fragst nach. Du nimmst auch kleine Erschöpfung ernst.
Am Ende braucht eine Frau mit Brustkrebs nicht noch eine Rolle, die sie spielen muss. Sie braucht einen Ort, an dem sie nichts mehr spielen muss. Wenn du dieser Ort bist, bist du keine Randfigur ihrer Erkrankung, sondern ein echter Teil ihrer Bewältigung.
Quellen, Leitinien & Studien
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- Patientenratgeber zu den Empfehlungen der AGO Kommission Mamma, Stand: 2022: ago-online.de
- Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms, Langversion 4.4, Stand: Juni 2021: leitlinienprogramm-onkologie.de (Abrufdatum am 20.08.2023)
- Deutsche Krebsgesellschaft, Onko Internetportal, Brustkrebs: Basis-Infos für Patientinnen und Angehörige. Online unter krebsgesellschaft.de (Abrufdatum am 20.08.2023).
HER2-positiv
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Aromatasehemmer
- Aktories, K. et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 11. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2013.
- Fachinformation: Exemestan, unter: www.fachinfo.de, (Abruf: 23.08.2023).
- Geisslinger, G. et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen - Pharmakologie, Klinische Pharmakologie, Toxikologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 11. Auflage, 2020.
BRCA-Mutation
- Deutsche Krebshilfe (04/2018): Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. Die blauen Ratgeber 24
Brustkrebsoperationen
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. Stand August 2019. Online unter www.leitlinienprogramm-onkologie.de (Anruf: 25.08.2023).
- Deutsche Krebsgesellschaft, Onko Internetportal, Brustkrebs: Basis-Infos für Patientinnen und Angehörige. Online unter www.krebsgesellschaft.de (Zugriff am 25.08.2023).
- AGO Empfehlungen „Diagnosis and Treatment of Patients with Primary and Metastatic Breast Cancer”, Stand: März 2021:
https://www.ago-online.de
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