Es gibt Momente im Leben, in denen auf einmal nichts mehr selbstverständlich ist. Ein Arztzimmer, ein nüchterner Satz, ein Blick auf einen Befund – und plötzlich teilt sich das Leben in ein „Vorher“ und ein „Nachher“. Brustkrebs ist genau so ein Moment. Während dein Körper Untersuchungen, Operationen, Chemotherapie oder Bestrahlung durchläuft, passiert in deiner Seele etwas, das von außen oft kaum jemand sieht.

Deine Familie und dein Freundeskreis versuchen alles, um dich aufzufangen. Sie bringen Blumen, kochen für dich, erzählen Witze, schicken aufmunternde Nachrichten und sagen Sätze wie „Du bist so stark“ oder „Du schaffst das“. Manchmal hilft das, manchmal fühlt es sich aber auch so an, als würdest du in eine Rolle gedrängt: die Kämpferin, die immer noch lächelt, die positiv denkt, die nicht aufgibt.
Doch tief in dir ist da vielleicht etwas ganz anderes: Traurigkeit, Angst, Überforderung, Wut. Gefühle, die sich ihren Platz nehmen wollen, aber oft keinen bekommen, weil alles so sehr nach Stärke und Zuversicht verlangt. Genau hier liegt ein wichtiger Punkt: Es ist nicht nur erlaubt, traurig zu sein – es ist notwendig. Traurigkeit ist kein Gegenstück zur Hoffnung, sie ist ein Teil von dir. Und sie braucht Raum, um da sein zu dürfen, ohne dass jemand sie sofort wegtrösten oder übermalen will.
Wenn Traurigkeit nicht der Feind ist, sondern eine Begleiterin
Viele Menschen denken bei Traurigkeit zuerst an etwas, das sie am liebsten loswerden wollen. Gerade bei einer ernsten Erkrankung wie Brustkrebs taucht schnell die Sorge auf, negative Gefühle könnten die Heilung stören oder du dürftest sie gar nicht zulassen, weil du „kämpfen“ sollst. Diese Sicht ist verständlich, aber sie ist unfair dir selbst gegenüber.
Traurigkeit ist eine sehr menschliche Reaktion auf etwas, das dein Leben erschüttert. Du verlierst Sicherheit. Du verlierst vielleicht Teile deines Körpers. Du verlierst das Vertrauen darauf, dass dein Körper einfach funktioniert. All das löst Gefühle aus, und diese Gefühle wollen gesehen werden. Traurigkeit zeigt, dass du noch bei dir bist. Sie ist ein Zeichen dafür, dass du spürst, wie tief dieser Einschnitt geht.
Wenn du versuchst, Traurigkeit konsequent wegzuschieben, kostet dich das enorme Kraft. Du musst dann nicht nur mit der Erkrankung leben, sondern auch noch gegen deine eigenen Gefühle ankämpfen. Es kann sich so anfühlen, als würdest du innerlich erstarren oder wie hinter einer Glaswand stehen. Du funktionierst, aber du fühlst dich nicht mehr wirklich verbunden – weder mit dir selbst noch mit anderen.
Wenn du dir erlaubst, traurig zu sein, bedeutet das nicht, dass du hoffnungslos bist. Es bedeutet, dass du dir zugestehst, ein Mensch in einer extrem belastenden Situation zu sein. Manchmal ist Traurigkeit sogar wie eine innere Stimme, die sagt: „Halte kurz an. Das ist zu viel. Du brauchst Zeit, du brauchst Nähe, du brauchst Ruhe.“ Wenn du dieser Stimme gelegentlich Gehör schenkst, kann sie dir helfen, deine Kräfte besser einzuteilen.
Warum es so schwer ist, Traurigkeit zu zeigen
Die meisten Menschen lernen sehr früh im Leben, dass Traurigkeit irritiert. Schon als Kinder hören viele Sätze wie „Jetzt wein doch nicht“ oder „Sei stark“. Später, im Erwachsenenleben, verstärken sich diese Muster. Wenn du krank wirst, passiert genau das Gleiche – nur noch stärker. Plötzlich dreht sich vieles um Zuversicht, Motivation, Prognosen und Therapiepläne. Du spürst, wie angespannt die Stimmung werden kann, wenn du offen zeigst, wie schlecht es dir emotional geht.
Viele Betroffene erzählen, dass sie mit der Zeit anfangen, ihre Gefühle zu verstecken. Sie wollen ihre Familie nicht noch zusätzlich belasten, denn du siehst ja selbst, wie sehr sich deine Angehörigen bemühen. Vielleicht beobachtest du, wie jemand beim Wort „Chemotherapie“ schluckt oder sich die Tränen verkneift, während dir Mut zugesprochen wird. Du möchtest diese Menschen nicht noch mehr verletzen, also hältst du deine Traurigkeit zurück.
Hinzu kommt, dass unsere Gesellschaft oft ein sehr einseitiges Bild von Stärke vermittelt. Stärke bedeutet dann, zu funktionieren, aktiv zu bleiben, möglichst schnell in den Alltag zurückzukehren, kämpferisch zu sein. Aber wer hat festgelegt, dass Stärke nichts mit Weinen, Zweifeln oder Angst zu tun haben darf? In Wirklichkeit braucht es ungeheuren Mut, sich verletzlich zu zeigen. Besonders dann, wenn alle um dich herum lieber Hoffnung sehen möchten.
Die Folge ist häufig ein innerer Spagat. Du spielst nach außen die Rolle der tapferen Patientin, die positiv denkt, während du dich innerlich manchmal leer, verzweifelt oder überfordert fühlst. Das kann sehr einsam machen. Denn wenn deine Traurigkeit keinen Platz hat, hast du das Gefühl, mit deinem wahren Erleben allein zu sein – selbst inmitten der größten Liebe.
Wie wichtig es ist, über Sorgen und Ängste sprechen zu dürfen
Worte können keine Erkrankung heilen, aber sie können eine enorme Entlastung bringen. Wenn du jemandem sagen kannst: „Ich habe Angst“ oder „Heute ist ein schlechter Tag, ich fühle mich kraftlos und traurig“, dann muss dieses Gefühl nicht länger allein in dir eingeschlossen bleiben. Es wird geteilt, zumindest ein kleines Stück.
Viele Betroffene erleben es als Erleichterung, wenn sie einmal ohne Rücksicht aussprechen dürfen, was sie wirklich denken. Das kann die Angst vor der Zukunft sein, die Sorge um die Kinder, die Frage, ob der Partner oder die Partnerin das alles langfristig aushält, oder auch ganz konkrete Ängste vor Untersuchungen, Operationen oder Therapien. Diese Gedanken sind nicht negativ. Sie sind ehrlich.
Wenn du mit jemandem sprichst, der dich wirklich hört, kann das wie ein Öffnen eines Fensters in einem stickigen Raum sein. Nichts an der Außenwelt ändert sich sofort, aber die Luft wird ein wenig leichter. Du musst deine Sorgen nicht mehr sortieren, beschönigen oder sofort mit einem positiven Satz relativieren. Du darfst sie einfach aussprechen, und das allein kann schon beruhigend sein.
Auch professionelle Unterstützung kann hier wertvoll sein. Psychoonkologinnen und Psychoonkologen, Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen bieten Räume, in denen genau diese Gedanken Platz haben dürfen, ohne dass du dich schuldig fühlst. Dort sind deine Ängste und deine Traurigkeit nicht zu viel, sondern ein normaler Teil der Belastung, mit der du lebst. Das Wissen, nicht allein zu sein, kann ein stilles, aber starkes Gegengewicht zur inneren Hilflosigkeit werden.
Warum Zuhören oft heilender ist als gut gemeinte Aufheiterung
Für deine Angehörigen ist es oft schwer auszuhalten, dich traurig zu sehen. Sie lieben dich und wünschen sich nichts sehnlicher, als dass es dir besser geht. Aus dieser Liebe entsteht der Wunsch, dich aufzuheitern, dich abzulenken, dich zu stärken. Doch manchmal passiert dabei Folgendes: Deine Gefühle werden überdeckt, statt wirklich wahrgenommen zu werden.
Wenn du zum Beispiel sagst: „Ich habe Angst, dass die Krankheit zurückkommt“, und als Antwort sofort hörst: „Ach, das wird schon, du bist so stark“, dann meint es dein Gegenüber gut. Aber bei dir kann ankommen: „Meine Angst ist nicht erwünscht.“ Du fühlst dich dann vielleicht nicht ernst genommen, obwohl dieser Mensch dir eigentlich helfen möchte.
Zuhören bedeutet etwas anderes. Es bedeutet, deine Angst, deine Traurigkeit und deine Fragen erst einmal so stehen zu lassen. Jemand, der dir wirklich zuhört, fragt vielleicht nach: „Wovor hast du genau Angst?“ oder sagt einfach: „Das klingt wirklich schwer. Ich sehe, wie sehr dich das belastet.“ Es geht nicht um Lösungen, nicht um schnelle Antworten, sondern um das gemeinsame Aushalten.
Diese Form von Zuhören ist eine besondere Art von Stärke. Sie verlangt von Angehörigen, ihre eigene Hilflosigkeit zu akzeptieren, ohne sie mit schnellen Ratschlägen zu überdecken. Aber genau dadurch entsteht ein Raum, in dem du dich mit deinen Gefühlen zeigen kannst, ohne dich erklären oder rechtfertigen zu müssen. In diesem Raum musst du keine Rolle spielen. Du darfst einfach du sein – mit allem, was gerade in dir ist.
Traurigkeit zulassen heißt auch, sich selbst zu schützen
Es klingt auf den ersten Blick widersprüchlich, aber Traurigkeit zuzulassen kann eine Form von Selbstschutz sein. Wenn du dir erlaubst, traurig, erschöpft oder überfordert zu sein, hörst du eher auf die Signale deines Körpers und deiner Seele. Du merkst früher, wann du eine Pause brauchst. Du gestehst dir zu, dich zurückzuziehen, regelmäßig auszuruhen oder dir Unterstützung zu holen.
Wenn du dagegen versuchst, dich selbst dauerhaft aufzubauen, weil du glaubst, immer stark sein zu müssen, läufst du Gefahr, dich zu überfordern. Du gehst möglicherweise über deine Grenzen, sagst zu oft „Ja“, wenn du eigentlich „Nein“ brauchst, und versuchst, für andere zu funktionieren, während du innerlich langsam ausbrennst.
Sich die eigene Traurigkeit einzugestehen, bedeutet nicht, in ihr stecken zu bleiben. Es heißt, sie als Teil deiner Realität anzuerkennen. Heute kann sie stärker sein, morgen vielleicht schwächer. Sie kommt in Wellen, und du darfst lernen, diese Wellen zu beobachten, statt sie mit aller Kraft niederzudrücken.
Manchmal kann es hilfreich sein, der eigenen Traurigkeit sogar bewusst einen Rahmen zu geben. Zum Beispiel, indem du dir Zeitfenster schaffst, in denen du dich mit deinen Gefühlen beschäftigst – beim Schreiben in ein Tagebuch, im Gespräch mit einer vertrauten Person oder beim Weinen in einem geschützten Moment. So bestimmst du ein Stück weit selbst, wie du mit dieser Traurigkeit umgehst, statt von ihr überwältigt zu werden.
Wie Angehörige helfen können, ohne Gefühle zu überdecken
Auch wenn dieser Text vor allem dich als Betroffene in den Mittelpunkt stellt, spielt dein Umfeld eine wichtige Rolle. Für deine Familie ist es oft ein Balanceakt zwischen dem Wunsch, Hoffnung zu schenken, und der Notwendigkeit, deine Traurigkeit ernst zu nehmen. Sie erleben dich in einer Situation, die auch für sie schwer auszuhalten ist, und manchmal wissen sie nicht, was richtig ist.
Angehörige helfen am meisten, wenn sie signalisieren: „Du musst für uns nicht stark tun.“ Es ist entlastend, wenn du von ihnen hören darfst: „Du darfst traurig sein, du darfst weinen, du darfst auch mal nichts sagen.“ Diese Botschaft nimmt dir den Druck, ständig funktionieren zu müssen. Sie macht es leichter, dich zu zeigen, wie du dich wirklich fühlst.
Hilfreich ist auch Ehrlichkeit. Angehörige dürfen sagen, dass sie selbst Angst haben oder überfordert sind. Das schafft eine gemeinsame Ebene. Dann kämpft nicht die eine Seite darum, stark zu wirken, während die andere so tut, als sei alles im Griff. Stattdessen entsteht eine ehrliche Nähe: Wir alle haben Angst, wir alle sind traurig, und wir tragen das gemeinsam.
Es kann auch entlastend sein, wenn Angehörige aktiv anbieten, zuzuhören, ohne etwas reparieren zu wollen. Ein Satz wie „Möchtest du, dass ich einfach nur zuhöre, oder brauchst du einen Rat?“ kann klarstellen, was du in diesem Moment brauchst. So entsteht weniger Druck und mehr Klarheit – für beide Seiten.
Am Ende bedeutet Zulassen auch ein Stück innerer Heilung
Brustkrebs ist nicht nur ein medizinischer Weg mit Diagnosen, Therapien und Nachsorge. Es ist auch ein seelischer Weg. Auf diesem Weg gibt es Licht und Schatten. Es gibt Momente voller Hoffnung, Erleichterung und Dankbarkeit – zum Beispiel, wenn eine Therapie anschlägt oder ein wichtiger Befund gut ausfällt. Und es gibt Tage, die dunkel sind, schwer und eng. Beide Seiten gehören dazu.
Traurigkeit zuzulassen heißt nicht, die Hoffnung aufzugeben. Es heißt, anzuerkennen, dass du mehr bist als deine Rolle als starke Patientin. Du bist ein Mensch mit einer ganzen Palette an Gefühlen: Hoffnung, Angst, Wut, Erleichterung, Verzweiflung, Dankbarkeit. All das darf existieren, oft sogar gleichzeitig.
Vielleicht ist wahre Stärke nicht das unerschütterliche Lächeln, das niemals wankt, sondern die Ehrlichkeit, mit der du dir selbst begegnest. Stärke kann bedeuten, zu sagen: „Heute bin ich schwach, müde, traurig – und trotzdem bin ich da. Ich bin nicht weniger wert, nicht weniger tapfer, weil ich so fühle.“
Wenn dein Umfeld lernt, diese Traurigkeit mit dir zu tragen, statt sie wegzuwischen, entsteht etwas sehr Kostbares: eine ehrliche, tragende Nähe. Eine Nähe, in der du dich gehalten fühlst, ohne dich verstellen zu müssen. Und genau diese Nähe kann – neben allen medizinischen Maßnahmen – zu einem wichtigen Teil deiner inneren Heilung werden.
Quellen, Leitinien & Studien
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BRCA-Mutation
- Deutsche Krebshilfe (04/2018): Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. Die blauen Ratgeber 24
Brustkrebsoperationen
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. Stand August 2019. Online unter www.leitlinienprogramm-onkologie.de (Anruf: 25.08.2023).
- Deutsche Krebsgesellschaft, Onko Internetportal, Brustkrebs: Basis-Infos für Patientinnen und Angehörige. Online unter www.krebsgesellschaft.de (Zugriff am 25.08.2023).
- AGO Empfehlungen „Diagnosis and Treatment of Patients with Primary and Metastatic Breast Cancer”, Stand: März 2021:
https://www.ago-online.de







