Für Menschen mit Primär Progredienter Multipler Sklerose (PPMS) zeigen neue Studien in JAMA Neurology, dass bestimmte krankheitsmodifizierende Therapien (DMTs) das Fortschreiten der Behinderung effektiv verlangsamen können. Besonders bei Patienten mit aktiven Entzündungen haben diese Therapien vielversprechende Ergebnisse gezeigt und könnten zu einer verbesserten Lebensqualität führen.
Was ist PPMS?
PPMS ist eine Form der Multiplen Sklerose, die etwa 10 % aller MS-Fälle betrifft. Im Gegensatz zur schubförmig-remittierenden MS (RMS), bei der Schübe auftreten, schreitet die PPMS von Anfang an kontinuierlich voran. Dies macht die Behandlung und das Management der Krankheit besonders herausfordernd, da es bisher nur wenige wirksame Therapien gab.
Die Bedeutung der neuen Studie
Eine groß angelegte Studie, die in JAMA Neurology veröffentlicht wurde, umfasste über 3000 Patienten mit Primär Progredienter Multipler Sklerose (PPMS). Diese Studie zielte darauf ab, die Wirkung krankheitsmodifizierender Therapien (DMTs) auf das Fortschreiten der Behinderung bei dieser schwer behandelbaren Form der MS zu untersuchen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Frage, inwiefern DMTs das Risiko verringern können, dass Patienten eine schwerwiegende Behinderung entwickeln, wie beispielsweise eine Rollstuhlabhängigkeit.
Von den mehr als 3000 Patienten, die an der Studie teilnahmen, konnte nur ein Teil für die Analyse herangezogen werden, da strenge Einschlusskriterien angewendet wurden. Bei den verbleibenden Teilnehmern wurden die Auswirkungen von DMTs auf den Fortschritt der Behinderung und die Entwicklung von Mobilitätseinschränkungen, gemessen an der sogenannten Expanded Disability Status Scale (EDSS), bewertet. Die EDSS misst die Schwere der Behinderung auf einer Skala von 0 bis 10, wobei höhere Werte schwerere Einschränkungen anzeigen.
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Patienten, die DMTs erhielten, insbesondere diejenigen mit entzündlicher Aktivität, signifikant langsamer das Risiko erreichten, eine schwerwiegende Behinderung zu entwickeln. Im Detail wurde festgestellt, dass die Exposition gegenüber DMTs das Risiko, einen EDSS-Wert von 7.0 (Rollstuhlabhängigkeit) zu erreichen, um 33 % reduzierte, verglichen mit Patienten, die keine DMTs erhielten. Interessanterweise zeigte sich, dass das Vorhandensein von Schüben oder entzündlicher Aktivität ein entscheidender Faktor war, der durch die Behandlung positiv beeinflusst wurde.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass entzündliche Prozesse bei PPMS möglicherweise eine größere Rolle spielen, als ursprünglich angenommen. Traditionell wurde PPMS als eine Form der MS betrachtet, die weniger von Entzündungen und mehr von neurodegenerativen Prozessen geprägt ist. Diese Studie legt jedoch nahe, dass Entzündungen, selbst bei progressiven Formen der MS, eine wesentliche Rolle im Krankheitsverlauf spielen und dass sie durch eine geeignete DMT-Behandlung gezielt reduziert werden können.
Darüber hinaus wurde auch deutlich, dass die frühzeitige Einleitung einer DMT-Therapie bei Patienten mit aktiven Entzündungen dazu beitragen kann, den langfristigen Verlauf der Erkrankung zu beeinflussen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer genauen Diagnose und Überwachung der Krankheitsaktivität mittels Bildgebung, wie beispielsweise der Magnetresonanztomographie (MRT), um die beste Behandlungsstrategie zu finden.
Zusammengefasst zeigt die Studie, dass DMTs nicht nur bei schubförmiger MS, sondern auch bei PPMS einen signifikanten Einfluss auf das Fortschreiten der Behinderung haben können, insbesondere bei Patienten mit aktiven Entzündungen. Dies bietet neue Perspektiven für die Behandlung und das Management von PPMS und gibt Aufschluss über die Mechanismen, die der Krankheit zugrunde liegen.
Krankheitsmodifizierende Therapien (DMTs)
Krankheitsmodifizierende Therapien (DMTs) sind von zentraler Bedeutung für die Behandlung der Multiplen Sklerose, insbesondere bei der Primär Progredienten Form (PPMS). Diese Medikamente zielen darauf ab, das Immunsystem zu modulieren oder zu unterdrücken, um die Entzündungsaktivität zu reduzieren, die für die Schädigung der Nerven verantwortlich ist. Es gibt verschiedene Arten von DMTs, die auf unterschiedliche Mechanismen abzielen, und einige davon wurden speziell für PPMS entwickelt.
Ocrelizumab
Ocrelizumab ist das erste und bisher einzige Medikament, das für die Behandlung von PPMS zugelassen wurde. Es handelt sich um ein monoklonales Antikörper-Medikament, das auf B-Zellen abzielt – eine Art von weißen Blutkörperchen, die bei der Entstehung der MS eine Rolle spielen. Durch das Blockieren der B-Zellen kann Ocrelizumab die Entzündungsreaktion reduzieren, die zu Nervenschäden führt. In klinischen Studien wurde gezeigt, dass Ocrelizumab das Fortschreiten der Behinderung bei PPMS verlangsamen kann, was besonders bei Patienten mit aktiven Entzündungen deutlich wurde.
Rituximab
Ein weiterer monoklonaler Antikörper, Rituximab, wird manchmal off-label bei PPMS eingesetzt. Rituximab wirkt ebenfalls auf B-Zellen und wurde ursprünglich zur Behandlung von rheumatoider Arthritis und anderen Autoimmunerkrankungen entwickelt. Obwohl Rituximab für MS nicht offiziell zugelassen ist, deuten Studien darauf hin, dass es bei einigen Patienten mit PPMS das Fortschreiten der Behinderung verlangsamen kann. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Anzeichen von Entzündungsaktivität im Gehirn.
Siponimod
Siponimod ist ein weiteres Medikament, das hauptsächlich für sekundär progrediente MS (SPMS) zugelassen ist, aber in einigen Fällen auch bei PPMS eingesetzt wird. Es gehört zur Klasse der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren und wirkt, indem es die Lymphozyten (eine Art von weißen Blutkörperchen) zurückhält, wodurch die entzündliche Aktivität im Zentralnervensystem verringert wird. Diese Medikamentenklasse ist besonders bei Patienten wirksam, die noch Schübe erleben oder Anzeichen von Entzündungsaktivität zeigen.
Cladribin und Natalizumab
Andere DMTs wie Cladribin und Natalizumab werden ebenfalls bei fortgeschrittenen MS-Formen untersucht. Cladribin reduziert die Anzahl bestimmter Immunzellen, die die Entzündungsreaktion anregen, während Natalizumab das Eindringen von Immunzellen in das Gehirn blockiert. Diese Medikamente haben in der schubförmigen MS bereits positive Effekte gezeigt und werden zunehmend auch in der Behandlung von progredienten Formen der MS getestet.
Die Wahl des richtigen Medikaments hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Schwere der Erkrankung, der Entzündungsaktivität und den individuellen Bedürfnissen des Patienten. Es ist wichtig, dass Patienten die Vor- und Nachteile jeder Therapie mit ihrem Arzt besprechen, um die bestmögliche Behandlungsstrategie zu finden.
Was bedeutet das für Sie?
Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, an PPMS leiden, könnte dies bedeuten, dass neue Therapien zur Verfügung stehen, die das Fortschreiten der Behinderung verlangsamen können. Besonders wichtig ist, mit Ihrem Arzt über mögliche Behandlungen und deren Wirksamkeit zu sprechen, insbesondere wenn Schübe auftreten.
Diese Forschungsergebnisse geben Anlass zur Hoffnung, dass durch die gezielte Behandlung von Entzündungen auch bei fortschreitenden Formen der MS eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann.
Quelle
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